Schwere schwarze Pendelleuchten aus Gusseisen über dem Kassentisch zitieren mit ihrem rauen Charme den Industrial-Look. Glamouröse Kristall-Lüster in der Damen-Dessous-Abteilung künden von Wohlstand und Luxus – während andernorts bei den Jeans im angesagten Destroyed-Look Grubenlaternen oder traditionelle Baustellenlampen vom schweißtreibenden Arbeitsleben früherer Tage erzählen. Und auch die klassische Glühbirne, nach dem Glühlampenverbot selbst zum Museumsstück beziehungsweise Designklassiker geworden, feiert im Store fröhliche Urständ. Ein hochemotionales Thema, denn aus den Köpfen vieler Menschen ist sie noch längst nicht verschwunden. In frischer Optik und munterer Reihung verweist sie nun im Kindermode-Shop auf den Siegeszug der elektrischen Beleuchtung vor über 130 Jahren.
Storytelling
Im Zeitalter der energieeffizienten LED-Beleuchtung ist dies natürlich nicht als sentimentaler Rückfall in veraltete Leuchtentechnik zu verstehen. Im Fokus steht die auffällige dekorative Optik der Leuchten, die zu Retro-Inszenierungen der Ladenflächen beiträgt. Was wiederum auf das Trendthema der Store-Gestaltung schlechthin einzahlt: das Geschichtenerzählen, das Storytelling, das den Kunden emotional ansprechen soll. Dabei ist der Rückgriff auf das „Früher“ zum beliebten Ritual geworden, allerdings nicht als simple Kopie des 70er- oder 80er-Jahre-Designs. „Dagewesenes wird wiederentdeckt, Retro-Elemente werden aufgefrischt. Es entsteht eher ein kreativer Mix aus Zitaten, ein eklektizistischer Ansatz, der den Stil zu einem Blickfang und zu etwas Neuem macht“, so die Design-Auguren des Stilbüros bora.herke.palmisano mit Büros in Frankfurt und Berlin.
Shopbeleuchtung im Retro-Stil kann diese Neuinterpretationen vergangener Stil- und Design-Epochen eindrucksvoll inszenieren. Mit LED haben Designer und Leuchtenhersteller inzwischen viele Möglichkeiten, dem Licht die gewünschte Form zu geben. Oder umgekehrt das Licht in eine gewünschte Form zu integrieren.
Das führt zu parallelen Entwicklungen in der Formensprache der Leuchten. Einerseits schreitet die Miniaturisierung von Lichtquellen weiter voran: Architekten nutzen minimalistische Leuchten, die weniger als Leuchte, sondern vor allem als reines Licht in Erscheinung treten. Innenarchitekten und Storedesigner wählen größere, auffallende Leuchten-Designs, die ein Statements in der Raumarchitektur setzen, als Eyecatcher ein gewünschtes Stilkonzept und Licht-Ambiente unterstreichen und damit die emotionale Wirkung vertiefen.
Individueller Look
Als Pendel-, Wand-, Tisch- oder Stehleuchte kann die Leuchte Wärme, Gemütlichkeit und Intimität ausstrahlen, über Geometrie und Farbe die Freude am Bunten und Spielerischen des derzeit angesagten Memphis-Stils widerspiegeln oder über das Material und die Bearbeitung einen rauen, industriellen Charakter der Inszenierung betonen. Die dekorativen Leuchten tragen dazu bei, einem Geschäft einen individuellen Look zu verleihen.
Die Leuchtenhersteller reagieren bei der Leuchtenentwicklung flexibel auf individuelle Sonderwünsche für dekorative Lichtinszenierung. „Dekorative Elemente verschiedener Formen, Farben und Materialien können an ein lichttechnisches Grundgehäuse adaptiert werden – auch Elemente im Industrial Look“, sagt Christof Volmer, Bäro Geschäftsleitung Marketing. Man bietet Kunden zudem die Option, Oberflächen ihren individuellen Wünschen entsprechend zu gestalten mit besonderen Lackierungen oder speziellen Legierungen wie Nickel Velours, Kupfer gebürstet und Vielem mehr.
Mit dekorativen Retro-Leuchten allein lassen sich Raum und Ware allerdings nicht wirkungsvoll inszenieren. Und so verbinden diese Leuchten heute die dekorative Formensprache und emotionale Wirkung mit einer optimalen Warenbeleuchtung auf hohem lichttechnischem Niveau, heißt es bei Ansorg. Die Leuchten werden beispielsweise im Lebensmittelhandel zur Inszenierung der Frischetheken eingesetzt wie die Retro-Pendelleuchte „Mona“ von Ansorg bei Edeka Hieber in Schopfheim und im Biomarkt Temma in Hamburg.
Innen modern
Im Lebensmittelmarkt von Klaas & Kock in Rheine erzielen große „Loreto“-Pendelleuchten von Oktalite im Eingangs- und Kassenbereich mit ihrem runden nostalgischen Design eine dekorative Fernwirkung. Die Leuchten inszenieren als Gestaltungsmittel den Raum, setzen Statements in der Marktarchitektur. Unter der dekorativen Retro-Hülle verbirgt sich ebenfalls modernes LED-Licht.
Laut Artemide sind viele der Design-Ikonen des Unternehmens heute als visuelles Highlight und Teil der Corporate Architecture weltweit in bekannten Stores zu finden. Beispielsweise seien die Leuchte „Unterlinden“ und die Pendelleuchte „Empatia“ im Moment sehr gefragt für den Retro- bzw. Industrial-Style, etwa im Münchner Flagshipstore von Eataly.
Die historische Schrannenhalle von 1854 mit ihrer Glas- und Eisen-Architektur wurde von Eataly als Markthalle und kulinarischer Treffpunkt zu neuem Leben erweckt. Artemide übernahm dabei die Lichtinszenierung mit dem Ziel, italienische Lebenskultur stimmungsvoll zu inszenieren. In der „Choreographie“ aus zahlreichen unterschiedlichen Leuchtentypen und Lichtszenarien sorgen die mundgeblasenen „Empatia“-Deckenleuchten beispielsweise für zarte Licht- und Schatteneffekte. Sie verweisen auf die traditionelle Handwerkskunst venezianischer Glasmacher, die heute wieder eine große Wertschätzung erfährt.
Fotos (4): Ansorg (1), Bäro (1), Artemide (1), Oktalite (1)
Eigenständige und innovative Interpretation von Bekanntem
Cem Bora, Claudia Herke und Annetta Palmisano vom Frankfurter und Berliner Stilbüro bora.herke.palmisano erläutern den Retro-Trend im Leuchtendesign.
Was macht für Sie den Retro-Stil im Ladenbau und Leuchtendesign aus?
Wir unterscheiden in unserer Trendaussage vier unterschiedliche maßgebliche Einflüsse, die die Einrichtung von morgen beeinflussen. Eine der vier Stilrichtungen ist ein retrobezogener Stil, der Dagewesenes wiederfindet, Retro-Elemente auffrischt und dabei Neues schöpft. Das Besondere ist der frische und durchaus junge, innovative Charakter, der dieser Thematik innewohnt.
Was ist frisch und innovativ an Gestern und Vorgestern?
Dass Bewährtes weiterhin im Fokus bleibt, ist eine schon seit Längerem sichtbare und andauernde Entwicklung. Neue Designs orientieren sich an klassischen Vorbildern, oder Klassiker werden an neue technische Standards angepasst. Retro-Looks werden dabei mit modernen Aspekten und Designs verbunden, man geht spielerisch und aufgeschlossen damit um. So entsteht ein neuer zeitgemäßer Look – kein nostalgischer Rückblick, sondern eine eigenständige und innovative Interpretation von Bekanntem.
Welche Formen, Oberflächen und Materialien spiegeln diesen Designtrend wider?
Wir finden viele Zitate aus ganz unterschiedlichen Epochen. Es entsteht eine Mischung von Stilen – vom Designklassiker bis zum Memphis-Stil, von stilvoll bis bunt. Wertschätzung und Langlebigkeit spielen eine entscheidende Rolle bei dieser Entwicklung, zum Beispiel die Wiederentdeckung traditioneller Fertigungsmethoden wie die manuelle Glasbläserkunst, Buntmetalle wie Kupfer, Zinn, Bronze und Messing, Holz in unterschiedlichen Maserungen, Farben, Lasuren und Vieles mehr.
Welche Rolle spielt die klassische Glühbirne in diesen Retro-Szenarien?
Die Reduktion auf die einfache Glühbirne wird zum Statement. Diesem emotional starken Thema haben sich viele gerade junge Gestalter gewidmet, es wird viel experimentiert mit Textilkabeln in großer Farbpalette und verschiedenen Glühbirnenformen. Wir haben Glühbirnen mit Kristallschliff gesehen, Kronleuchter mit Glühbirnen, Glühbirnen im Industrielook mit Gitterschutz. Es sind immer wieder neue Interpretationen möglich, dennoch wird das Thema künftig nicht mehr so im Fokus stehen. Es wurde schon viel dazu gesagt.