Im letzten Jahr hat die indische Regierung entschieden, ausländische Direktinvestitionen zu erlauben: bis zu 100 Prozent im Monobrand- und bis zu 51 Prozent im Multibrand-Retail. Dies ist ein Schritt nach vorn, aber nun warten alle darauf, dass im Multibrand-Bereich eine weitere Lockerung folgen wird. Noch ist der Markteintritt in Indien nur in einem Joint Venture möglich – eine Verbindung, die nicht immer von Erfolg gekrönt ist. Doch angesichts der Bevölkerungszahl von 1,2 Milliarden Menschen ist die potenzielle Attraktivität dieses Markts verständlich.

Nirgendwo lässt sich das indische Nebeneinander der Epochen so gut beobachten wie auf den Straßen: Esel- und Kamelkarren, betagte Vespas, auf denen man gerne auch mal zu Fünft fährt, daneben BMW und Porsche, alles einträchtig beisammen. Ein buntes Treiben rund um die Uhr, eine Geräuschkulisse aus Tausenden kleiner Tuktuks, Hupkonzerten und Hundegebell. War es früher Gold, das Eltern an ihre Kinder vererbten, ist es heute Grundbesitz. Mumbai gilt zum Wohnen als teuerste Stadt weltweit, auf der anderen Seite gibt es unglaublich viel Leerstände, weil Inder ihr Eigentum nur ungern vermieten. Wer kann, kauft eine Parzelle, selbst wenn sie so klein ist, dass sie nicht zu bebauen ist. Lange Zeit galten auch Malls als gute Anlage. Doch schlecht erschlossen, ließen sich oft nur die unteren Geschosse vermieten, ab dem zweiten Level herrscht gähnende Leere.

Mondeal Retail Park in Ahmedabad: In der Open-Air-Mall hat jede Marke ein eigenes Gebäude.

Mondeal Retail Park in Ahmedabad: In der Open-Air-Mall hat jede Marke ein eigenes Gebäude.

Ausnahmen sind die Einkaufszentren in den größten Städten. Bevorzugter Standort in Neu Delhi ist beispielsweise die Select City Mall, während in der benachbarten DLF Mall die Ladenlokale leer standen. Besonders beliebt bei den Highend-Brands ist die Emporio Mall in Vasant Kunj, ebenso florieren hier die angebundenen DLF Mall und Ambience Mall. Weitere Beispiele sind UB City in Bangalore und natürlich in Mumbai die Oberoi Mall und die Hight Street Phoenix Mall. Nach einer Mall-Welle schießen nun gewerbliche Bauten aus dem Boden. Auf den ersten zwei bis drei Etagen bieten sie in der Regel die als Showrooms bezeichneten kleinen Handelsflächen, darüber Büros. In der Regel werden die Flächen einzeln verkauft und sind veräußert, noch bevor die Planung abgeschlossen ist.

Doch auch mittelgroße Städte sind im Aufwind wie Pune, Chennai oder aber Ahmedabad, eine Metropole mit 6 Mio. Einwohnern im Westen Indiens. Wie überall leben auch hier auf den Großbaustellen die Arbeiterfamilien in den rohen Räumen, haben sich Kochstellen eingerichtet und Stockbetten aufgebaut. Junge Männer mischen auf dem Boden Zement und Sand. Frauen und Heranwachsende balancieren auf ihren Köpfen Schüsseln mit Beton, alle arbeiten mit einfachsten Werkzeugen. Das Bauen mit modernen Hilfsmitteln wie Kränen ist hier noch nicht angekommen.

Aber der Fortschritt macht sich bemerkbar. Neue Store-Formate werden imposanter, setzen mehr auf Alleinstellungsmerkmale als auf Grundversorgung. Wie der Mondeal Retail-Park, den Blocher Blocher India im letzten Jahr in Ahmedabad fertiggestellt hat. Die Open-Air-Mall bietet jeder Marke ein eigenes Gebäude mit einer eigenen Adresse. Das spricht auch Luxusbrands an, die sich in ihren eigenen vier Wänden verwirklichen können.

Man braucht Geduld

Was die Inder an den Deutschen schätzen, ist ihre Genauigkeit, Zuverlässigkeit, Professionalität und ihre Pünktlichkeit. In Indien dagegen gehört das Wartenlassen zum guten Ton. Alle sind zu beschäftigt, um Zeit zu haben. Das gilt für jedes Meeting – und natürlich auch für Ämter. Dazu kommt, dass man nie weiß, wie dicht die Straßen sind. Dicht sind sie in jedem Fall. Beeindruckend ist die Gastfreundschaft – umso mehr angesichts der Gehälter. Ein Fahrer bekommt umgerechnet etwa 140 bis 160 Euro im Monat, eine Putzfrau rund 22 Euro. Eine Sekretärin verdient 200-300 Euro. Für eine Hose einer lokalen Marke muss sie rund 10-20 Euro ausgeben, ein Shirt kostet zwischen 2 und 8 Euro, ein paar Schuhe zwischen 10 und 30 Euro. Wesentlich günstiger sind die Märkte.

Indisches Retail-Konzept von The Collective

Indisches Retail-Konzept von The Collective

Den Mietverträgen im Einzelhandel gehen in der Regel monatelange Verhandlungen voraus. Und die Planungen, manchmal sogar die ersten Arbeiten, beginnen, bevor die Tinte auf dem Vertrag trocken ist. Zu teuer ist die Miete, die an einem guten Standort zwischen 50 Euro und 180 Euro pro Quadratmeter beträgt. In der Regel gewährt der Eigentümer sechs Wochen, bis die Mietzahlungen beginnen müssen.

Dazu kommt, dass bauliche Veränderungen ein „No-Go“ sind. Für jede Kleinigkeit ist eine umfangreiche Baugenehmigung erforderlich. Das kann sich niemand leisten. Und so sind High-Streets wie Colaba Causeway in Mumbai, Connaught Place oder Karol Bagh in Neu Delhi nicht das, was sich ein Europäer zum Bummeln vorstellt. Alles ist extrem verdichtet und konzentriert. Darauf müssen Retail-Formate, wie Blocher Blocher sie für Raymond, Van Heusen oder Reid & Taylor entwickelt hat, reagieren. Das Zauberwort der internationalen Architekten heißt „Glokalisierung“, also das Zusammenspiel von Globalisierung und Lokalisierung.

Fotos (3): Blocher

Autorin Angela Kreutz ist Geschäftsführerin von Blocher Blocher India.

Weitere Informationen: www.blocherblocher.com