Treppen entscheiden nicht nur im wörtlichen Sinn über den Auf- und Abstieg. Sie haben wesentlichen Einfluss auf den Geschäftserfolg, hängt es doch bei mehrstöckigen Verkaufsflächen von ihrer Gestaltung ab, ob Ober- oder Untergeschosse lebhaft frequentiert werden. Am Eingang von Ladenlokalen sind Treppen in jedem Fall ein Manko, ermittelte das Essener Immobilienberatungsunternehmen Brockhoff & Partner im Rahmen einer Untersuchung (Handelsimmobilien Report Nr. 20). Jede einzelne Stufe kostet demnach etwa zehn Prozent Umsatz. Insbesondere Personen mit Kinderwagen und ältere Menschen meiden für sie nur mühsam erreichbare Geschäfte. Während in den Top-Innenstadtlagen Stufen daher weitgehend aus den Eingangsbereichen verschwunden sind, sind sie in den Fußgängerzonen von Mittelstädten sowie in Ostdeutschland weiterhin zu finden, so der Report. Der in Deutschland oftmals strenge Denkmalschutz ist aber kein Hindernis. „Selbst in Städten mit historischem Stadtkern wie Hameln oder Celle wurden vernünftige Lösungen gefunden, um sicherzustellen, dass die Verkaufsflächen barrierefrei betreten werden können“, sagt Bert Pfeffer, Prokurist und Mitglied der Geschäftsleitung bei Brockhoff & Partner.
Die Kunden müssen das Gefühl bekommen, sie verpassen sonst etwas.
Alexander PlajerWährend es also gilt, Außentreppen grundsätzlich zu vermeiden (bzw. alternative Eintritts-Möglichkeiten anzubieten), kommt es im Innenraum auf ihre einladende Wirkung an. „Das Begehen muss zum Raum-Zeit-Erlebnis werden. Gleichzeitig müssen Treppen bequem sein“, meint Dieter Blocher, Mitinhaber des Architekturund Designbüros Blocher Blocher Partners aus Stuttgart. Eine gelungene Treppenkonstruktion sollte die Neugier der Kunden wecken und „die Sinne ansprechen“. Idealerweise sollten Treppen eine Sogwirkung ausüben. „Die Kunden müssen das Gefühl haben, etwas zu verpassen, wenn sie nicht hinauf beziehungsweise hinab gehen“, bringt es Alexander Plajer, Inhaber des Plajer & Franz Studio aus Berlin, auf den Punkt. Klaus Schwitzke, geschäftsführender Gesellschafter des Düsseldorfer Designbüros Schwitzke & Partner, charakterisiert eine gelungene Treppe so: „Die Kunden müssen die Treppe wie selbstverständlich annehmen.“
Fast schon Kunst
Die Auf- und Abgänge im Laden sind in den letzten Jahren über ihren funktionalen Zweck hinaus stärker zum Designobjekt geworden. Die Treppe beim Herrenmode-Filialisten Wormland in München beispielsweise wurde früher lediglich als notwendiges „Erschließungsübel“ gesehen. Heute präsentiert sich die vom Untergeschoss bis in die zweite Etage windende Helix (Planung: Blocher Blocher Partners) als Rauminstallation. Eine über vier Etagen verlaufende Wendeltreppe mit aufwendigem Lamellengeländer und ebenfalls fast skulpturalem Charakter ist ein prägendes Element des Modehauses Hafner in Straubing. „Unser Architekt, Jochen M. Messerschmid von MAI Messerschmid Architekten und Innenarchitekten aus Stuttgart, musste viel Überzeugungs-
arbeit leisten, bis wir uns bei unserem Umbau 2007 für diese Lösung entschieden“, sagt die Geschäftsführerin Elisabeth Wiegel. Ihr Resümee: „Gut, dass er es gemacht hat. Die Treppe ist nicht nur optisch ein Genuss, sondern ermöglicht wunderbare Einblicke in die Etagen und bietet unseren Kunden Orientierung.“ Der für seine Arbeit Gelobte ergänzt: „Eine Treppe ist eines der wenigen Gestaltungselemente, das sich durch ein Haus durchzieht, oftmals in mehr oder weniger großen Lichthöfen untergebracht ist und dadurch eine gewisse Fernwirkung hat.“
Klaus Schwitzkes Hinweis: „Treppen sind einer der wenigen Bereiche im Store, in denen keine Ware untergebracht werden muss – sie kann und muss gestalterisch genutzt werden! Treppen können sogar Kunst sein. Bestes Beispiel ist Armani in New York. Die Treppe ist eine Raumskulptur, die unabhängig von Kollektion und Marke ein eigenes Erlebnis darstellt.“ Neben einer bewusst eigenständigen Umsetzung können Aufgänge auch im Corporate Design eines Handelshauses oder einer Marke gestaltet werden. Ein Beispiel ist der Fanshop des Fußball-Bundesligisten Werder Bremen im Weserstadion (Planung: Schwitzke & Partner). Die einfachen Betonstufen werden seitlich begrenzt durch einen Maschendrahtzaun, der wie das Netz eines Tores wirkt und in den das Vereinswappen eingewebt ist. Dieses wird von Strahlern, die im Boden versenkt sind, in grünes Licht getaucht.
Bestandstreppen aufwerten
Dieses Beispiel zeigt zugleich, wie sich bestehende Treppen aufwerten lassen. „Im Treppenauge können Lichtspiele, Kunstobjekte und Displays Highlights setzen. Geländer können verändert werden, zum Beispiel farblich. Oder der Bodenbelag kann ausgetauscht werden. Durch Massivholzdielen, Teppichboden oder eine Beton-Optik lässt sich ein neuer Look erzielen“, zählt Manfred Knappe von Knappe Innenarchitekten, Marbach, auf. Alexander Plajer sieht eine Treppenwand durchaus als kreative „Spielfläche“: „Hier lassen sich interessante Materialien, Bilder, Figuren oder ‚laufende’ Lichtbänder einsetzen.“ Klaus Schwitzke sagt: „Treppen vertragen aufwendige Details, beispielsweise in Leder eingenähte Handläufe, hochwertige Geländer oder auffällige Leuchten. Befinden sich die Aufgänge in Treppenhäusern, können die Wände unter Berücksichtigung der Brandschutzvorschriften aufgebrochen oder durch Glas ersetzt werden.“ In der von Schwitzke & Partner geplanten Stuttgarter Filiale des Wohnaccessoires-Händlers Das Depot vermittelt die Umfassung der Treppe Haus-in-Haus-Charakter. Nischen und Durchbrüche dienen als Bühne für Produktinszenierungen. „Bestandstreppen lassen sich eigentlich immer gut verändern“, ist die Erfahrung von Klaus Schwitzke. „Wichtig ist, dass sie technisch in Ordnung sind, sodass man sie auf ihre konstruktive Rohform zurückführen kann.“
Mieter an die Macht
„Ein verbreitetes Problem ist, dass die Treppen vom Vermieter gebaut werden und daher eher funktional sind. Planerisch muss der Mieter sie dann so übernehmen“, stellt Schwitzke fest. „Wenn ein Händler oder eine Marke einen Store mieten, schließen sie häufig langfristige Verträge ab, und die Verkaufsflächen werden oftmals umfangreich neu gestaltet. Da ist es nicht nachvollziehbar, wenn ausgerechnet die Treppe als sehr anspruchsvoller Teil ausgeschlossen wird. Eine Treppe sollte grundsätzlich zum Gesamtbild, der Atmosphäre und der Markenaussage passen.“ Klaus Schwitzke bringt die Rolltreppe in die Diskussion: „Hochwertige bzw. Luxus-Marken verweigern sich der Rolltreppe, da diese nicht als wertig empfunden wird. Konsumig ausgerichtete Stores indes setzen auf die Rolltreppe, weil die Verantwortlichen annehmen, dass der Komfort für ihre Zielgruppe wichtig ist. In Deutschland prägt uns noch der Warenhaus-Gedanke. Wir meinen, die Erschließung mehrerer Ebenen müsse durch Rolltreppen erfolgen. Damit beschneidet man sich aber der kreativen Möglichkeiten, die eine Treppe bieten kann.“
Die Basis-Voraussetzungen
Worauf ist bei Planung und Konstruktion einer Treppe zu achten? „Die Position, die Sichtbarkeit und natürlich die Laufeigenschaften sowie das Steigungs- und Auftrittsverhältnis sind wichtige Parameter“, fasst Manfred Knappe zusammen. „Gerade das Steigungsverhältnis, also das richtige Verhältnis zwischen Stufentiefe und -höhe ist ganz wichtig. Insbesondere bei geschwungenen Treppen kann man da viele Fehler machen“, unterstreicht Jochen M. Messerschmid. „Außerdem sind natürlich die baurechtlichen Vorgaben wie Geländerhöhe, Anzahl der Stufen usw. einzuhalten. In der Praxis entscheidend ist, dass die Treppe einem Kunden Sicherheit vermittelt, zu einem bestimmten Punkt führt – und nicht an einer Wand endet.“
Fotos: MAi Messerschmid Architekten (1), Knappe Innenarchitekten (1), Blocher Blocher Partners (1), Schwitzke & Partner (1), Plajer & Franz (1)
Safety first
Antje Ebner vom Deutschen Institut für Treppensicherheit in Waldenburg gibt Informationen, welche Kriterien Treppen im Handel unbedingt erfüllen sollten.
s+s: Haben Sie Erkenntnisse darüber, wie sicher (oder unsicher) Treppen im Einzelhandel sind?
EBNER: Das hat noch niemand statistisch erfasst. Aus unserer langjährigen Erfahrung wissen wir aber, dass es immer wieder zu Mängeln bei der Treppensicherheit in Verkaufsstätten kommt.
s+s: Wo liegen die Unfallrisiken bzw. was macht Treppen sicher?
EBNER: Wenn ich einen Laden besuche, befinde ich mich auf unbekanntem Terrain. Ich kenne die Wege und Stolperstellen nicht so gut wie an vertrauten Orten. Außerdem bin ich durch das Warenangebot und die anderen Kunden abgelenkt und achte nicht so auf meine Schritte. Damit diese natürlicherweise gegebene Unaufmerksamkeit nicht zu Unfällen führt, sollten bei der Ladeneinrichtung die folgenden Punkte beachtet werden: Die Fußbodenbeläge der durch Stufen und Treppen getrennten Bereiche sollten rutschsicher sein und farblich kontrastierend voneinander abgesetzt werden. An dieser Stelle sollte der Wunsch nach einem einheitlichen Erscheinungsbild hinter der Sicherheit zurückstehen. Die Farbunterschiede signalisieren dem Unterbewussten, dass Aufmerksamkeit von Nöten ist.
Menschen mit Sehbehinderungen können Stufen sonst auch leicht übersehen. Eine gute Ausleuchtung tut ein Übriges. Zudem, das ist in der Verkaufsstättenverordnung und den Landesbauordnungen auch vorgeschrieben, müssen Treppen an beiden Seiten einen festen und griffsicheren Handlauf in einer Höhe von 85 Zentimetern aufweisen, der über die erste und die letzte Stufe ins Podest beziehungsweise in den Verkaufsraum geführt wird. So ist sicherer Halt gewährleistet, auch wenn sich Menschen auf der Treppe begegnen. Und wenn es doch einmal zum Sturz kommen sollte, geben die Handläufe den Betroffenen die Chance, sich festzuhalten und Schlimmeres zu verhindern. Schließlich sollten die Treppenstufen geschlossen sein, damit nicht die Gefahr des Hängenbleibens mit der Fußspitze besteht.
s+s: Werden heutige Einzelhandelstreppen aus Ihrer Sicht der demografischen Entwicklung mit einem höheren Anteil älterer Menschen gerecht?
EBNER: Da muss ich salomonisch antworten: viele ja, viele nein. Wer die genannten Kriterien erfüllt, ist aber schon mal gut dabei.