Herr Kirchmair, wie beurteilen Sie die aktuelle Stimmungslage im Ladenbau aus Branchensicht?
Die Stimmungslage verschlechtert sich im Augenblick wieder, weil die Hoffnungen für das Jahr 2021 wohl nicht in Erfüllung gehen werden.
Wie lässt sich die aktuelle Situation quantifizieren?
Nach vorläufigen Berechnungen ist das Marktvolumen für Ladenbau in 2020 um etwa 20 Prozent eingebrochen, von rund 25 Milliarden Euro auf 20 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr 2019. Ladenbauunternehmen, die überwiegend für den Lebensmitteleinzelhandel tätig sind, sind von dieser Entwicklung wenig bis gar nicht betroffen. Alle Segmente, die ausschließlich Kunden aus dem Modehandel bedienen, mussten hingegen hohe Umsatzrückgänge in Kauf nehmen.
Wie spiegelt sich das Ausnahmejahr 2020 in der Umsatzstatistik Ihres Unternehmens wider?
Umdasch konnte 2020 den Umsatz ganz leicht auf über 240 Millionen Euro steigern. Hauptgrund für dieses erfreuliche Ergebnis ist ein Wachstum von 20 Prozent in der Division Food. Auch in den Branchen Home & Living, Baumärkte und Gartencenter konnten wir eine positive Entwicklung verzeichnen, während wir bei Mode, Luxusgütern und Reisebedarf deutliche Einbußen hinnehmen mussten. Mit Trennscheiben oder Thekenaufstellern aus Acrylglas, Abstandshaltern und anderen Produkten versuchen Ladenbauunternehmen, die Umsatzausfälle ein wenig zu kompensieren.
Umdasch bietet hier sogenannte Hygienestationen an. Mit Erfolg?
Wir haben mittlerweile rund 10.000 Hygienestationen verkauft, in einigen Fällen in Kombination mit Zutrittskontrollsystemen. Für uns ein willkommener Zusatzumsatz in der Größenordnung von mehreren Millionen Euro.
Glauben Sie, dass dieses Geschäftsfeld über Corona hinaus Bestand haben wird?
Ich denke, dass Hygienestationen und intelligente Zutrittskontrollsysteme auch nach Corona bleiben werden. Alleine schon deshalb, weil sich das Hygieneverhalten dauerhaft geändert hat. Wir sind gerade dabei, diese IoT-Maschinen in unsere Retail-Experience-Plattform mit einzubauen. Wir investieren aktuell viel Geld, um Maschinen und/oder Möbel mit Künstlicher Intelligenz im weiteren Sinne auszustatten.
Umdasch hat in jüngerer Vergangenheit durch Zukäufe und Beteiligungen im Technologiebereich auf sich aufmerksam gemacht. Welche strategischen Überlegungen stehen hinter diesem Engagement?
Teil unserer Strategie ist es, digitale Technologien mit dem klassischen Ladenbau zu verbinden. Kernelement ist die Investition in die Retail-Experience-Plattform, die es dem Händler ermöglicht, elektronische Preisschilder unterschiedlichster Hersteller, Digital Signage sowie Möbel wie Liquid- und Solid Dispenser und andere Technologien mittels einer gemeinsamen Software anzusteuern. Wir haben vor sechs Jahren damit begonnen, massiv in diesen Bereich zu investieren und sehen hier mittlerweile einen spürbaren Return on Invest.
Stellen Sie bei Ihren Kunden aus dem Handel fest, dass die Nachfrage nach Technologielösungen in Verbindung mit Ladenbau wächst?
Wir stellen diese Nachfrage ganz eindeutig fest. Wir haben im letzten Jahr erlebt, dass der Nachfrageschwerpunkt bei vielen Händlern bei digitalen Lösungen zur Prozessoptimierung lag. Das betrifft zum Beispiel die elektronische Regalpreisauszeichnung. Vor allem Lebensmittelhandel und Drogeriemärkten hilft diese Technologie, die Prozesskosten zu senken. Bei Investitionen in Digital Signage spüren wir hingegen, dass der Handel seine Marketingbudgets im letzten Jahr zurückgenommen hat.
Im Bereich Self-Scanning hat sich Umdasch erst kürzlich am Shopping-App-Anbieter Shopreme beteiligt …
Die Beteiligung hält unser Schwesterunternehmen Umdasch Group Ventures. Die Lösungen von Shopreme bieten unter anderem eine Mobile Scanning App, mit der Kunden Artikel im Laden mit dem Smartphone scannen und direkt bezahlen können. Derzeit laufen verschiedene Pilotprojekte, zum Beispiel bei der österreichischen Rewe-Tochter, Billa, dem zur XXXLutz gehörenden Möbelhändler Möbelix oder bei Douglas. Wir sehen für diese „Scan-and-Go“-Technologie ein größeres Potenzial als für stationäre Self-Checkouts.
Welche Folgen hat die Verbindung von digitalen Technologien mit dem klassischen Ladenbau für den Planungsprozess bei Neu- oder Umbaumaßnahmen im Handel?
Wir versuchen immer, beides gleichzeitig zu denken. Es gibt heute bei den Store Makers von Umdasch kein Ladenbauprojekt mehr, bei dem Kollegen oder Kolleginnen aus dem analogen und digitalen Bereich nicht zusammenarbeiten. Für den deutschsprachigen Raum haben wir 2020 in Duisburg einen Standort eröffnet, an dem unsere Architekten und unsere Digital Experten nicht nur an einem Ort versammelt sind, sondern immer als Team auftreten.
Beobachten Sie dieses Zusammenwachsen beider Bereiche auch bei Ihren Kunden im Einzelhandel?
Auf der Handelsseite haben wir es meistens noch mit mehreren Ansprechpartnern zu tun. Wir beobachten, dass viele Unternehmen ihre IT-Abteilungen zurzeit massiv aufrüsten. Als Folge müssen unsere Key Accounter beim Kunden auf mehreren Ebenen agieren und neben den Kontaktpersonen, die für das Wachstum und die neuen Standorte verantwortlich sind, auch zusehends IT-Experten in die Investitionsprozesse einbinden. Irgendwann wird die Abwicklung bei nur einer Person liegen, aber dieser Prozess hat gerade erst begonnen.
Können Sie bestätigen, dass sich die Investitionen des Handels in den letzten Jahren weg vom klassischen Ladenbau und hin zur Technologie bewegen?
Wir haben das für uns einmal nachgerechnet. Wenn wir nur die Möbelproduktion sehen, dann ist der Umsatz im Zeitraum 2008 bis 2020 um 70 Prozent zurückgegangen. Die Investitionen auf Handelsseite haben sich in diesen zwölf Jahren aber nicht verändert, im Gegenteil, sie sind tendenziell sogar gestiegen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Investitionen zu zwei Dritteln in die Technologie fließen: in Shop-Beleuchtung, Kühlung, Digital Retail und andere Bereiche, die ursprünglich nicht dem klassischen Ladenbau zugeordnet wurden.
Mit welchen Erwartungen gehen Sie in die nächsten Monate? Rechnen Sie damit, dass sich die Nachfrage des Handels nach Investitionsgütern wieder erholen wird, wenn Covid-19 überwunden ist?
Alle Vorzeichen deuten darauf hin, dass Umdasch in diesem Jahr im hohen einstelligen Bereich wachsen wird. Wieder mit dem Ungleichgewicht, dass Bereiche wie die Food-Division weiter prosperieren werden, während andere wie der Luxusgüter- oder Reisemarkt in diesem Jahr wohl noch nicht zurückkommen werden. Erfreulicherweise sehen wir in diesen Segmenten erste Tendenzen der Erholung in Märkten mit einer hohen Durchimpfungsrate wie dem Mittleren Osten. Ob wir im zweiten Halbjahr einen gesamtwirtschaftlichen Aufschwung erleben werden, wird nach meiner Einschätzung stark von der europaweiten Impfsituation abhängen. Bestenfalls könnte es sein, dass die wirtschaftlichen Aktivitäten viel schneller zurückkehren, als wir es heute einschätzen.
Was haben Sie als Unternehmer aus der Krise gelernt?
Mein Learning ist, dass Geschäftsbereiche, die vor Corona schon schwierig waren, während der Krise weiter an Boden verloren haben. Die Hoffnung auf bessere Zeiten wird sich nicht bewahrheiten. Persönlich habe ich mir vorgenommen, Entscheidungen noch konsequenter und schneller zu treffen. Wenn ich das Gefühl habe, dass sich eine Sache positiv entwickeln wird, aber auch wenn es darum geht, etwas anzupassen.
Das Interview führten Winfried Lambertz und Claudia Horbert.
Über Silvio Kirchmair
Der gebürtige Linzer Silvio Kirchmair (59) ist seit 2013 CEO von Umdasch The Store Makers, einem der größten Ladenbau-Unternehmen Europas mit Sitz im niederösterreichischen Amstetten. Nach seinem Studium an der Johannes-Kepler-Universität in seiner Heimatstadt begann er seinen Berufsweg bei einer Werbeagentur. Einige Jahre später übernahm er die Marketing- und Vertriebsleitung beim Fensterhersteller Internorm und wurde 1989 Mitglied der Geschäftsführung. Es folgten berufliche Tätigkeiten als Vorstandsmitglied bei Actual Fenster, als Geschäftsführer bei Tochtergesellschaften der Constantia Industries und im Hoerbiger Konzern, bevor Kirchmair zur Ladenbausparte der Umdasch Group wechselte.