Die Coronapandemie gilt als Auslöser für den Aufbruch in eine zukunftsorientierte „neue Normalität“ im Retail. Dazu tragen nicht nur Digitalisierung und der Einsatz von KI bei, auch der Ladenbau entwickelt sich weiter. Farbe, Materialien und eine innovative Formensprache sind hierbei für die emotionale Ansprache der Kundschaft von großer Bedeutung. Es geht darum, Optimismus, Wohlgefühl und Aufbruchstimmung zu erzeugen, die Flächen zu „eventisieren“, Menschen wieder mehr ins Zentrum zu rücken und durch gemeinsame Erlebnisse zusammenzuführen.
Starke Signale
Zahlreiche Beispiele mit trendgemäßer Flächengestaltung zeigen: Es sind nicht nur flüchtige Moden, die ins Auge springen. Ladenbauer, Visual Designer, Innenarchitekten schöpfen ihre Inspirationen aus Stil prägenden Epochen, die auf einem stabilen kunsthistorischen Fundament ruhen: Der dekorative, glamouröse und extrovertierte Art-déco-Stil Anfang des 20. Jahrhunderts, die Bauhaus-Ära, die Mid-Century-Epoche bis zu den Trends der Siebzigerjahre – die Elemente dieser Zeiten werden immer wieder als attraktive Muster entdeckt und neu interpretiert.
Dadurch führen sie auch im Ladenbau von morgen zu innovativen räumlichen Gestaltungsideen: zum Beispiel in fröhlichen, „lauten“ Farbtönen der Siebziger wie Orange, Pink, Grün oder Hellblau. Die aktuellen Farbskalen renommierter Forschungsinstitute wie NCS, Pantone oder dem RAL-Institut gleichen sich in ihren aktuellen Aussagen: mehr Farbe, mehr Kontrast, mehr Intensität. Der kräftige Pink-Ton Magenta wurde von Pantone zur „Farbe des Jahres 2023“ ausgerufen. Sie steht für Mut und Furchtlosigkeit, Überschwänglichkeit, pulsierendes Leben, Freude und Optimismus.
Gepusht werde die Weiterentwicklung dieser Farbwelt durch Metaverse und die Generation Z, sagt Trendexpertin und -beraterin Silvia Talmon, Executive Creative Director der Kölner Retail Academy. Signalstarke Farben sollen heute in der physischen wie digitalen Handelswelt gleichermaßen funktionieren. Auch die kontrast- und spannungsreiche Kombination von Blau und Rot, die derzeit immer mehr in den Fokus rückt, zählt zu den Farbtrends. Da zugleich das Thema Nachhaltigkeit immer mehr Einfluss auf das alltägliche Leben gewinnt, spielen daneben aber auch sanftere Naturund Erdtöne in der Farbgestaltung weiter eine Rolle.
Stil und Identität eines Unternehmens im Raum werden künftig über eine neu entwickelte ganzheitliche Corporate Architecture gespielt.
Silvia TalmonRecycling mit Spaßfaktor
Nachhaltigkeit ist eine wichtige Triebfeder auch für den Einsatz neuer Materialien. Aufgrund der rasant steigenden Preise für Holz greifen Handelsunternehmen immer stärker zu Alternativen. Holzoptik wird über Bambus gespielt, das sich mit seiner Leichtigkeit und Stabilität für viele Gestaltungsmöglichkeiten empfiehlt. Terrazzo gewinnt als optisch prägnantes und nachhaltiges Material wieder zunehmend an Bedeutung. Auf Gestaltungselemente und Mobiliar aus recyceltem Plastikmüll und lebhaftes Colorblocking setzt beispielsweise die Young-Fashion-Brand Ganni aus Berlin, ebenso die spanische Premiummarke Loewe im Kadewe.
Benetton hat einen 160 qm großen Pilotmarkt in Florenz komplett auf Basis upgecycelter Naturmaterialien eingerichtet. Der Boden aus Kieselsteinen und Holzabfällen von sturmgefällten Buchen, die Wände in Mineralfarben mit antibakteriellen, Schimmel hemmenden Eigenschaften, die Innenausstattung hergestellt aus Abfällen der Textilproduktion – alle Aspekte der Nachhaltigkeit wurden hier in den Ladenbau eingebracht.
Wiedersehen macht Freude
Neben Einrichtungsklassikern aus Stahl sind auch lange verpönte „alte Bekannte“ wie Acrylglas und Fliesen aufgrund ihrer vorteilhaften Eigenschaften derzeit wieder stark angesagt. Sie sind nicht nur langlebig, robust und pflegeleicht sowie zum Teil reversibel, sondern vermitteln in ihrer modernen Variante zugleich einen cleanen und stylishen Gesamteindruck. Fliesen sorgen gerade beim mehrfachen Materialwechsel im Raum für starke Kontraste und Spannung. Es ist immer der gekonnte, individuelle Stilmix auf den Handelsflächen und nicht die simple Kopie eines einzelnen Trends, der Faszination auslöst, beispielsweise als Variante von Modern Classic, Modern Future oder Modern Scandi.
Die neue Moderne basiert meist auf Reduktion, lässt laut Talmon aber ebenso extrovertiertere Spielarten oder einen futuristischen Touch zu. „Es ist eine in dieser Intensität noch nie umgesetzte Erlebniswelt im Handel, die Menschen in ihren Bann ziehen soll“, sagt die Trendexpertin. Klassisches Corporate Design wie etwa das leuchtende Gelb im Edeka-Auftritt oder Rot als Teil des Rewe-Marken-Brandings im Raum wird dabei nicht mehr unbedingt genug sein, sondern die Identität eines Unternehmens zeigt sich künftig über eine ganzheitliche Corporate Architecture.