Bei Gessler 1862 in Friedrichshafen ist oft erst nach Mitternacht Ladenschluss. Das liegt daran, dass sich der Buchladen am Abend in eine Kneipe verwandelt. Die Vorhänge an den Buchregalen werden zugezogen, das Fliesenmosaik im Thekenbereich, wo natürlich auch tagsüber ausgeschenkt wird, tritt dann in den Vordergrund und mit ihm eine durch Lichtsteuerung und Barmusik unterstützte Abendstimmung, die dazu animiert, beim Wein zusammenzusitzen oder noch ein bisschen zu schmökern. Die Ladenöffnungszeiten wurden außer Kraft gesetzt, indem die Kasse für den Buchverkauf um eine separate Gastro-Kasse ergänzt wurde. Der Gastronom kann bis 22 Uhr Artikel verkaufen. Hübscher Nebeneffekt der veränderten Stimmungslage, die den POS in einen „Point of Social“ verwandelt: „Abends greift mancher Kunde zu Büchern, die er tagsüber vielleicht nicht kaufen würde“, meint Philipp Beck, Geschäftsführer von Atelier 522 und verantwortlich für das Konzept.
Gessler 1862 ist Traditions- und Pionier-Buchhandlung zugleich. Seit über 150 Jahren am Platz, wagte man sich im vergangenen Jahr daran, den eigenen Auftritt mutig, originell und atmosphärisch aufzuladen und den Aktionsradius zu erweitern. Die Buch-Sortierung erfolgt nach Themen, ergänzt durch Nonbook-Ware. Philipp Beck: „Der Buchhandel muss verführen. Daher setzen wir auf eine thematische Tiefe. Der Roman, der an der Route 66 spielt, zum Auto-Klassiker das passende Modell-Fahrzeug, daneben die opulent gestalteten Reise-Eindrücke von der Fahrt entlang der Route 66. Mit einem Blick muss man in die Welt der schönen Dinge eintauchen können.“
Ähnlich wie Gessler ist auch die Buchhandlung Petra Esser in Kaarst ein „Prototyp“, der den Buchkauf mit maßgeschneidertem Kontext zum Erlebnis zu stilisieren weiß. Bei Esser setzt man weniger auf Non-Book, vielmehr auf Events, um sich im Ort, ausgestattet mit 30.000 Einwohnern, hoher Kaufkraft, gutem Altersschnitt und einer nicht ungefährlichen Nähe zu Düsseldorf, als Treffpunkt einer lokalen Community zu etablieren. „Der Buchhandel soll das bleiben, was er ist. Aber wir wollen das Buch modern präsentieren“, erläutert Mitinhaber Frank Esser das Konzept für die Fläche von über 300 qm in zentraler Lage und direkter Nachbarschaft zu lokalen Ankerhändlern wie Rewe oder dm. Neben der hellen Inneneinrichtung mit mediterranem Einschlag und einer Personalführung, die die Mitarbeiter verantwortlich die Buchauswahl in den einzelnen Themenfeldern treffen lässt, gehören vielschichtige Veranstaltungen zum Konzept und ein Café, Beamer und Leinwand zur Grundausstattung. „Wir planen Events zu den verschiedenen Themengebieten, die weit über die klassische Lesung hinausgehen. Eine Bikerin, die von den Erlebnissen ihrer Fahrradtour durch die USA erzählt, ein Gärtner, der Garten-Konzepte vorstellt“, erläutert Esser.
Mit Café oder Kochstudio
Wie durch lokale Verwurzelung und Vernetzung das Erlebnis Buchhandel gestärkt werden kann, zeigten weitere Beispiele auf der letzten Tagung des Arbeitskreises unabhängiger Sortimente vor wenigen Wochen in Köln. Im Buchgenuss, eine auf Kochbücher spezialisierte 30 qm-Buchhandlung in Wiesbaden, schiebt Katrin Wetzel ihr flexibles Mobiliar beiseite, um mit maximal 30 Gästen kulinarische Events zu einem Buch-Thema durchzuführen.
Hartliebs Bücher in Wien setzt, ganz anachronistisch, auf den Charme des traditionellen Bibliotheken-Looks mit deckenhohen, prall gefüllten Buchregalen und Schiebeleiter davor. Buchhändlerin Dorothee Junck aus Köln kooperiert mit einer benachbarten Kneipe, sodass die Buchabholung nach Ladenschluss möglich ist. Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels meint: „Auch wenn nicht alles rosig ist im Buchgeschäft, so ist das Thema stationärer Buchhandel in der Öffentlichkeit doch sehr positiv besetzt.“
Im Siebten Himmel ist, wer in der Brüsseler Straße in Kölns lebendigem, kaufkräftig besiedeltem In-Quartier Belgisches Viertel den rund 200 qm großen Laden aufsucht, der von Galerien, Cafés und Boutiquen umgeben ist. Siebter Himmel ist Concept Store, Bookstore und Versuchsbühne des Bastei Lübbe Verlags. Konzipiert als Erlebnisreise, wird der Kunde durch fünf architektonisch verschachtelte Themenräume geführt. Die thematisch sortierten Bücher – die Spiegel Bestseller-Liste spielt so gut wie keine Rolle – werden ergänzt von originellen und kuriosen Design- und Geschenkartikeln. Die Idee des Verlags: Eine Bühne, auf der ungewöhnliche Inszenierungen und Themen-Mixe ausprobiert werden können, um das zu erreichen, was für die Zukunft des stationären Handels entscheidend sein wird: das emotionale Kauferlebnis. Bastei Lübbe-Vorstand Klaus Kluge: „Ganz offensichtlich haben wir den Nerv der Klientel, die im Belgischen Viertel nach dem Besonderen sucht, getroffen: Bücher, die 52 Prozent des Umsatzes ausmachen und Geschenkartikel jenseits des Mainstreams. Das ist wohl die interessanteste Erkenntnis, die wir bis dato sammeln konnten: Der Kunde, der den Siebten Himmel betritt, sucht die Inspiration, das Ungewöhnliche.“
Die innovativen Beispiele zeigen, dass der Zeitgeist den Buchhandel nicht unberührt lässt und das Klischee der neonbeleuchteten, spaßfreien Fachbuchhandlung passé ist. „Der Buchhandel ist keineswegs so kaputt, wie oftmals kolportiert wird“, sagt Peter Struwe, Innenarchitekt der auf Bookstores spezialisierten Christenhusz Einrichtungen GmbH.
Zwar setzen Versandhandel und die wachsende Akzeptanz elektronischer Lesegeräte dem Buchhandel zu. Zwar bewegen sich die großen Ketten seit einigen Jahren auf Schlingerkurs und reduzieren ihre Flächen. Dadurch jedoch eröffnen sich gewisse neue Spielräume für kleine, unabhängige Buchhändler und die mittelständischen regionalen Filialisten. „Zugunsten betriebswirtschaftlicher Kennzahlen und eines straffen Controllings ist bei dem ein oder anderen Großen das Bibliophile vielleicht etwas auf der Strecke geblieben“, analysiert Christian Binder, der, ob als Architekt bei Umdasch oder als Unternehmer, an der Planung mehrerer hundert Buchhandlungen beteiligt war.
Das Bibliophile wiederentdecken
Dieses Bibliophile, die Leidenschaft fürs Buch, entdecken einige inhabergeführte Buchhandlungen neu und formen daraus ihr Geschäftskonzept. Der Buchhändler wird wieder zum Kurator, der mit seiner Expertise aus dem Meer von Titeln eine personalisierte Vorauswahl „fischt“, die der Kunde goutiert.
Ob Wohnzimmer-Interieur, Eckkneipe oder mallorquinische Finca als stimmungsvolle Kulisse, hängt vom Sortiment und den individuellen Vorlieben ab, sagen die Planungs-Experten – ob mit markanten Farbthemen, besonderen Materialien, ob mit Teppich oder Holzdielen als Bodenbelag. „Ich kann heute kein allgemeingültiges Buchhandels-Konzept mehr überstülpen“, sagt Peter Struwe von Christenhusz. „Aber ich kann den Buchhändler dabei unterstützen, seine persönlichen Vorlieben und Nischen herauszufiltern und mit unserem Know-how als Innenarchitekten und Ladenbauer Laden und Ware emotional umzusetzen.“ Innenarchitektur und Psychologie sind gefragt, meint Matthias Kreft, Chef der 1962 gegründeten Kreft Innenausbau GmbH, die auf die Planung und Einrichtung von Buchhandlungen spezialisiert ist. Die betriebswirtschaftliche Situation im Buchhandel lässt laut Kreft keine großen Sprünge zu. „Die Hemmschwelle ist hoch, die Angst vor großen Rechnungen enorm“, so Kreft. Daher sind die DIY-Methode, der Besuch im schwedischen Möbelhaus oder der Anruf beim befreundeten Schreiner für manchen Buchhändler die naheliegenden Lösungen. Zwar rät Kreft nicht grundsätzlich davon ab: „Es muss nicht immer der komplette neue Auftritt sein, oft bieten sich Möglichkeiten der Umrüstung, zum Beispiel Warenträger lassen sich verändern. Bei der Beleuchtung, besonders wichtig im Buchhandel, ist in den letzten Jahren extrem viel Interessantes passiert, was nicht zwangsläufig mit hoher Investition einhergehen muss.“ Kreft rät: „Ein Buchhändler sollte wenigstens für ein erstes Gespräch einen Experten hinzuziehen, um sich zumindest mal aufzeigen zu lassen, was alles so geht.“
Fotos: Atelier 522 (1), Büro für Inneneinrichtung Beate Wild (1), Kreft Innenausbau-Team (1), Leifhelm Eventfotografie (1)
Top-Statistiken zum Bucheinzelhandel gibt es unter http://www.handelsdaten.de/themen/1590/buchhandel-deutschland/
Bei Beleuchtung werden die meisten Fehler gemacht
Der Innenarchitekt Matthias Franz, seit vielen Jahren in der Buchbranche aktiv, erläutert seinen offenen Ansatz der Bookstore-Gestaltung.
Der dunkelbraune, hochflorige Teppichboden, den Sie der Buchhandlung Rupprecht empfahlen, ist in Branchenkreisen „legendär“…
Zuerst hat man uns deshalb fast vom Hof gejagt, nach langem Hin und Her wurde er dann doch ausprobiert. Alle Zweifel waren wie weggeblasen, nachdem sich Kundinnen beim Betreten des Ladens die Schuhe auszogen, um barfuß darüber zu gehen. Haptische und akustische Sinneseindrücke, für die der Bodenbelag mit verantwortlich ist, sind Teil der Aufenthaltsqualität.
Aber Sie wollen dem Buchhandel braunen Teppichboden nicht verordnen!?
Natürlich nicht, wir planen selbstverständlich individuell, auch den Bodenbelag. Das Produkt Buch ist in jedem Buchladen mehr oder weniger gleich, der Preis durch die Buchpreisbindung auch. Profilieren kann sich ein Buchladen durch Sortiments-Schwerpunkte, gutes, qualifiziertes Personal und einen ausgezeichneten Service – aber nur, wenn der Kunde bereit ist, zu verweilen. Daher ist eine maximale Aufenthaltsqualität immer das Ziel. Der aufeinander abgestimmte Einsatz von Farben, Materialien und Licht bestimmt die jeweilige Raumsituation.
Worauf muss speziell im Buchhandel geachtet werden?
Anders als zum Beispiel die Modebranche, die
alle drei, vier Jahre ihr Storedesign ändert, sind die Zyklen im Buchhandel deutlich länger. Daher muss die Innenraumgestaltung durch Zeitlosigkeit überzeugen. Präsentation und Möblierung sollten ohne großen Aufwand zu ändern sein, um zum Beispiel Sortimentsverschiebungen abbilden zu können.
Wo herrscht im Buchhandel besonders viel Handlungsbedarf? Was sollten Buchhändler noch in ihre Ladenplanung einbeziehen?
Akustik, Orientierung, Haptik, Klima, Licht – wir nehmen mit allen Sinnen wahr. Dem Licht kommt im Buchhandel besondere Bedeutung zu. Licht kann wach machen oder ermüden; Tageslicht blendet den Kunden schnell. In Lesezonen brauche ich eine andere Beleuchtung als dort, wo die räumliche Wirkung wichtig ist. Zu viel Licht, zu wenig oder das falsche – bei der Beleuchtung werden die meisten Fehler gemacht.