Auch wenn alle Welt angesichts des bevorstehenden Winters nur über das Heizen redet: „Das Thema Heizen ist im Handel eng mit dem Thema Kühlen verbunden“, sagt der Stuttgarter Architekt Jochen Messerschmid, MAI Messerschmid Architekten und Innenarchitekten. „Beides beschäftigt derzeit sehr viele.“ Gerade hat er für das Neubauprojekt eines Einzelhändlers in der Nähe von Hamburg fünf Bohrungen bis hinunter zu hundert Metern Tiefe vornehmen lassen, um Kunststoffleitungen zum Grundwasser zu legen.
„Die Temperatur des Grundwassers beträgt das ganze Jahr über konstant 12 Grad“, erläutert Messerschmid. „Durch Leitungssysteme, die in Betondecken eingelassen sind, kann man kann es sehr ökonomisch je nach den aktuellen klimatischen Bedingungen nutzen – entweder direkt zum Kühlen oder nach Erwärmung durch Wärmepumpen zum Heizen.“
So eine Lösung ist laut Messerschmid „ein praktisch perfektes System“. Allerdings können fest in Bauteile integrierte Leitungssysteme nicht in Bestandsimmobilien nachgerüstet, sondern nur in Neubauten installiert werden. Da die Wärmepumpen mit Strom betrieben werden, sollte der Strom idealerweise selbst erzeugt werden, sodass man „die Stromkosten auf lange Sicht signifikant senken kann“.
Wärmepumpe plus Kälteanlage
„Der Trend weg von fossilen Energieträgern ist schon seit mehreren Jahren zu beobachten, hat aber aufgrund der aktuellen Situation nochmals massiv an Fahrt aufgenommen“, bemerkt Andreas Wade, Global Head of Sustainability bei dem Spezialisten für Heiztechnik, Kühl- und Klimasysteme Viessmann. Die Nachfrage nach elektrifizierten und dekarbonisierten Lösungen sei groß. Speziell im Lebensmitteleinzelhandel ist „der Konsens schon seit Langem Wärmepumpe plus Kälteanlage, entweder als kombinierte Lösung oder in zwei separaten Systemen“, so Manfred Mahnert, Strategic Product Manager Energy & Refrigeration Systems bei Viessmann Refrigeration Solutions.
In Zukunft brauchen wir Kreislaufsysteme, um Kälte und Wärme effizient zu nutzen.
Prof. Holger Moths„Unser klarer Fokus sind künftig integrierte Systeme, sprich eine Kombination aus Kühlung, Heizung, Tiefkühlung und Klimatisierung“, berichtet Mahnert. „Betrieben werden solche Anlagen möglichst mit per Photovoltaik erzeugtem Strom.“ Was in urbanen Lagen jedoch oft nicht möglich ist, denn „wenn sich ein Supermarkt etwa im Erdgeschoss eines Hochhauses befindet, ist eine PV-Anlage kaum zu realisieren“, ergänzt Andreas Wade. Grundsätzlich entscheidend ist natürlich auch die Frage, ob ein Händler Eigentümer oder Mieter seiner Ladenfläche ist. „Wir sind zu 90 Prozent Mieter“, sagt Christian Günther, Abteilungsleitung Energiemanagement bei Tegut.
„Nur knapp 10 Prozent unserer Filialen sind Eigentum von Tegut – und nur da haben wir direkten Einfluss auf die Anlagenstruktur.“ Bei neu angemieteten Flächen in Neubauten „fordern wir vom Vermieter die Erfüllung gewisser Kriterien, die in der Baubeschreibung definiert sind“. So verzichtet Tegut bereits seit einigen Jahren bei Neubauten auf Gas- oder Heizöl-Verbrennungskessel und nutzt Abwärme zum Beheizen, sodass „wir in diesen Märkten die Haustechnik komplett klimaneutral betreiben“. Bei bestehenden Märkten allerdings „sind uns weitgehend die Hände gebunden“, so Günther.
Wir erwägen derzeit verschiedene Ansätze, um unsere Energiekosten zu senken. Ein Szenario wäre etwa, die Temperatur im Verkaufsraum um einige Grad zu reduzieren.
Christian GüntherWas in Miete möglich ist
Gewisse Aspekte kann man jedoch auch auf gemieteten Flächen beeinflussen. „Es gibt immer noch mehr als genug Läden mit veralteter Beleuchtungstechnik“, beobachtet der Hamburger Architekt Prof. Holger Moths, Prof. Moths Architekten. Dabei kann man durch die Umstellung auf LED die Wärmeentwicklung im Laden erheblich reduzieren.
Schließlich ist im Handel „auch vor dem Hintergrund, dass jeder Kunde circa 200 Watt Wärmeleistung in den Raum trägt, nicht die Heizung, sondern eine ausreichende Kühlung das größere Problem“, verdeutlicht Moths.
Kostengünstig kühlen kann man beispielsweise durch Lüftungsklappen im Fenster, die sich ab drei Uhr automatisch öffnen: „Dann strömt in den frühen Morgenstunden frische Nachtluft herein und der Laden startet kühl in den Tag.“ Auch den durch die Schaufenster bedingten Kälte- beziehungsweise Wärmeeintrag kann man reduzieren.
„Wer aus Gründen besserer Einsehbarkeit die energetisch eher ungünstige Einfach-Verglasung bevorzugt, kann durch eine Dämmebene in Form einer Rückwand unerwünschter Kältezufuhr entgegenwirken“, sagt Prof. Moths. Und bei starker Sonnenstrahlung kann mittels intelligenter, auf Sonnenlicht reagierender Lichtsteuerung die Fensterbeleuchtung reduziert werden.
Heizungsanlagen, die auf fossilen Brennstoffen basieren, sollten möglichst durch Wärmepumpen ersetzt werden.
Klaus SchwitzkeDa „jedes Licht, auch LED, Energie verbraucht“, kann eine dynamische Lichtsteuerung laut Jochen Messerschmid auch im gesamten Laden und nicht nur im unmittelbaren Fensterbereich sinnvoll sein. Im Eingangsbereich wiederum kann man unerwünschte Wärme- oder Kältezufuhr durch eine Drehtür oder automatische Schiebetür und möglichst einen Windfang minimieren.
Entscheidend ist immer auch „die intelligente Nutzung der vorhandenen Systeme“, so Jochen Messerschmid. „Erst nach einer gründlichen Analyse der Haustechnik und Verbrauchsverläufe kann man die Regelungssysteme optimal einstellen.“
Auch die Laufzeit der Anlagen spielt eine Rolle. „Wenn ein Laden älter als 10 Jahre ist, sollte man überprüfen, ob die Heiz- oder Kühltechnik zu überholen oder zu ersetzen ist“, empfiehlt der Architekt Klaus Schwitzke von der Düsseldorfer Schwitzke Gruppe.
Der Zeitbedarf für energetische Sanierungen steigt allerdings. Wenn Wärmepumpen und Photovoltaik installiert werden sollen, muss man „inzwischen rund ein Jahr bis zur Fertigstellung einplanen“, weiß Jochen Messerschmid. Davon abgesehen kann man jedoch „in einem halben Jahr schon viel bewirken.“