Von Aldi bis Zabka – der Lebensmittelhandel hat ein neues Experimentierfeld mit Zukunftspotenzial ausgemacht: autonome Stores. Im Wettrennen um die Innovationsführerschaft tüfteln derzeit etliche Food-Filialisten und Supermarkt-Betreiber an der Automatisierung ihrer Verkaufsflächen. Ihnen geht es darum, den Einkauf schneller und bequemer zu machen – mehr Umsatz, mehr Convenience in weniger Zeit. Darüber hinaus wollen sie Kassenschlangen und Kundenfrust vermeiden sowie langfristig Personalkosten sparen.
Kurz- bis mittelfristig geht es um das Austesten eines neuen Vertriebskanals, nicht um Rentabilität.
Ulrich SpaanGrab & go
Reingehen – einkaufen – rausgehen: So lautet die revolutionäre Idee, die den derzeitigen Run auf Robo-Shops begründet. So einfach das Prinzip, so komplex die dahinterliegende Hard- und Software. Deckenkameras, Gewichtssensoren in den Regalböden sowie künstliche Intelligenz in Form von Computer Vision bilden alle Kundenbewegungen digital ab, jeder Griff ins Regal wird verfolgt. Nimmt der Kunde zwei Tüten Milch? Stellt er den Joghurt wieder zurück? All das wird in Echtzeit erfasst und dem richtigen Kunden zugeordnet.
Gesichter hingegen werden nicht erfasst, alles bleibt anonym, beteuern die Anbieter, der Datenschutz bleibe gewahrt. Das Ein- und Auschecken sowie die Bezahlung erfolgen über eine App. Die Konsumentinnen und Konsumenten müssen die Ware also nicht selbst scannen und umladen – Grab & Go.
Jüngste Beispiele für das Sondieren und Experimentieren mit diesem Format sind Rewe, Tesco sowie Aldi Nord und Süd. Bei Rewe können Kundinnen und Kunden seit Ende Oktober in einem Kölner Markt einkaufen, ohne sich an der Kasse anstellen zu müssen – Pick & Go nennt der Handelskonzern seine Variante. Rewe arbeitet dabei mit dem israelischen Start-up Trigo zusammen, das auf Computer Vision spezialisiert ist und an dem Rewe finanziell beteiligt ist.
Hybrid oder komplett autonom
Trigo ist ebenfalls Technik-Lieferant von Tesco und Aldi Nord. Während die Rewe-Filiale in Köln ein Hybrid-Markt ist, der der Kundschaft die Wahl lässt zwischen klassischer Kasse und vollautomatischem Checkout, funktioniert der durchdigitalisierte Tesco-Get-Go-Store in der Londoner Innenstadt hundertprozentig autonom. Für Tesco ist das nicht der erste hochgerüstete Hightech-Markt: Bereits seit 2019 betreiben die Briten einen Trigo-Testshop am Unternehmenssitz in Welwyn Garden City bei London.
Anfang 2022 will auch Aldi Nord ins Rennen um die Zukunftstechnologie einsteigen. Im niederländischen Utrecht wird momentan ein Aldi-Markt zum rein autonomen Einkauf umgebaut und mit Trigo-Technik ausgestattet. Die Discount-Schwester Aldi Süd setzt laut Branchenkreisen auf einen anderen Anbieter: den US-Computer-Vision-Spezialisten Aifi. Die zum Aldi-Süd-Reich gehörende britische Landesgesellschaft Aldi UK hat kürzlich im Londoner Stadtteil Greenwich unter dem Namen Shop & Go seinen ersten autonomen Store eröffnet.
Kassenlos-Konzepte
Daneben beschäftigen sich etliche weitere Händler mit Kassenlos-Konzepten und unbemannten Stores. Die Ladentechnik ist derweil oft weniger komplex. Anders als bei den vollautomatischen Checkout-Systemen, bei denen Videokameras und Sensoren einen lernenden Algorithmus mit Daten füttern, um Kunden und Produkte eindeutig zu orten und zuzuordnen, müssen Kunden dabei meist noch selbst Hand anlegen – und die gewünschten Artikel entweder mit dem eigenen Handy oder an einer SB-Kasse scannen.
Zuletzt haben hierzulande Bünting und Tegut mit solchen teilautomatisierten Self-Scan-Märkten von sich reden gemacht. Auch das sind erfolgversprechende Formate, ist Technologie-Experte Spaan überzeugt: „Es muss nicht immer der komplett autonome Store sein. Erlebnis, Frische, Sortimentsvielfalt und Bedienung“ – auch damit könnten Händler punkten. Heute und vermutlich auch noch morgen.
Personalmangel erhöht den Druck
Prof. Dr. Stephan Rüschen von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Heilbronn über den Trend zu smarten Supermärkten.
Wie erklären Sie sich den derzeitigen Run auf Robo-Shops?
Amazon treibt den Markt mit Amazon Go vor sich her. Es besteht die Sorge, dass Amazon eine Technologie beherrscht, die deutsche Händler noch nicht einmal getestet haben könnten.
Rechtfertigt das die immensen Investitions- und Wartungskosten?
Der Personalmangel im Handel erhöht den Druck, sich mit Technologien zu beschäftigen, mit deren Hilfe auf Kassenpersonal verzichtet werden kann. Außerdem erlauben 24/7-Lösungen, Standorte zu besetzen, die einen herkömmlichen bemannten Store wirtschaftlich nicht rechtfertigen würden, beispielsweise auf dem Land. Ein weiterer Grund ist, dass E-Food in den Markt drängt und gerade außerhalb der Öffnungszeiten erfolgreich sein könnte.
Wann werden die smarten Supermärkte Roll-out-fähig bzw. Massenmarkt-tauglich sein?
Grab & Go wird aus meiner Sicht noch fünf Jahre benötigen, bis die Technologie ausgereift und somit auch für etwas größere Flächen skalierbar sein wird.
Und dann? Wird das die Zukunft des Einkaufs sein?
Grab & Go-Märkte werden eine relevante Nische besetzen. Aber ich glaube, dass es in den nächsten zehn Jahren nur eine Nische sein wird. Denn zu viele Kunden in Deutschland wollen noch traditionell einkaufen.