Intelligente Kamerasysteme gewinnen im Handel bei Diebstahlprävention, Risikoanalyse und Mitarbeiterunterstützung massiv an Bedeutung. Hintergrund dieser Entwicklung sind nicht zuletzt neue Betrugsformen, die mit dem Einsatz von Self-Checkout und Self-Scanning einhergehen.
Das ist die Beobachtung von Philipp Müller, CEO bei Signatrix, Berlin, einem Softwareunternehmen mit Spezialisierung auf Technologien aus dem Bereich Künstliche Intelligenz für die Analyse von Kundenverhalten und das Erkennen von Diebstahlprävention.
Zwar versprechen sich Entscheider im Handel von Self-Checkout und Self-Scanning effizientere Prozesse im Vergleich zu der herkömmlichen Abwicklung von Bezahlvorgängen. Aber: „Der Handel verliert dabei einen Teil der Kontrolle. Je friktionsloser das Einkaufen inklusive Bezahlen und Verlassen des Geschäfts wird, umso schwieriger wird es, Ladenklau zu vermeiden oder zu entdecken“, formuliert es der Experte.
Bereits heute entstehen gut 17 Prozent der Inventurdifferenzen im Kassenbereich, so Müller unter Verweis auf eine EHI-Studie. Die Annahme, dass dieser Anteil weiter steigen werde, sei leider durchaus realistisch. Denn friktionsloses Bezahlen bedeutet: „Man lässt den Kunden einfach machen.“
Eine weitere Herausforderung bestehe in einer Überforderung der Service-Mitarbeitenden, die die Kundschaft bei Self- Checkout und Self-Scanning bei Bedarf unterstützen sollen. Denn die Palette der Aufgaben ist breit:
- Sichtkontrolle auf vollständige Registrierung aller Einkäufe,
- Sichtkontrolle auf abgeschlossene Bezahlung,
- Entfernung von Warensicherungen,
- Prüfung von Gutscheinen,
- Alterskontrolle und
- Kundenunterstützung.
Ein Ausweg aus dieser Situation sei die Auswertung von Videodaten von Überwachungskameras, die in der Self-Checkout- Zone installiert sind, unter Anwendung von Methoden aus dem Maschinellen Lernen. Auf diese Weise können Kundenverhalten und Diebstahl selbstständig erkannt und gemessen werden. Die Informationen können dem Personal in Echtzeit sowie dem Management in Form von Datenanalysen zur Verfügung gestellt werden. Alle erkannten Fälle können archiviert werden.
Friktionsloses Bezahlen bedeutet: Man lässt den Kunden einfach machen.
Philipp MüllerAnalyse des Kundenverhaltens
Die Produktgruppe „Signatrix Self-Checkout Suite“ verfügt laut Müller über entsprechende Leistungsmerkmale. Sie soll als eine innovative Lösung für die Sicherung von Selbstbedienungskassen das Diebstahlsrisiko dort signifikant reduzieren und ihren bedenkenlosen Einsatz ermöglichen. Dabei wird Ware mit Deep-Learning-Technologie erkannt und mit der abgerechneten Ware verglichen.
Die Verbindung von KI plus Kamera habe jedoch auch an anderen Stellen auf der Fläche im Handel massiven Nutzen:
Beispiel: Offener Ein- und Ausgang
Alle Einkaufswagen und Einkaufskörbe lassen sich optisch erkennen und verfolgen, sodass keine unbezahlte Ware die Filiale auf diesem Weg verlässt. „Erkennt das System einen verdächtigen Vorfall, können unverzüglich zuständiges Personal alarmiert oder ein Abschreckungssystem ausgelöst werden“, erklärt Müller.
Beispiel: Kasse mit Kassenpersonal
Eine Kamera am Kassentisch oder an der Decke überprüft automatisch, ob sich beim Bezahlvorgang noch Waren im Einkaufswagen oder Einkaufskorb befinden. Objekte im Einkaufswagen werden detektiert und der Inhalt gefüllter Einkaufswagen auf dem Kassenbildschirm angezeigt.
Für das Kassenpersonal bedeutet dies verbesserte Arbeitsbedingungen: kein Aufstehen nötig, weniger körperliche Belastung, weniger Stress. Es muss nur im angezeigten Verdachtsfall kontrollieren und kann schneller und kundenfreundlicher kassieren, ohne dass Ware entwendet wird. „Die Erfahrungen zeigen, dass sich mit einer solchen Lösung die Anzahl der Einkaufswagenkontrollen um rund 60 Prozent verringern lassen.“
Beispiel: Ausgangskontrolle für SB-Bereiche
Eine Software für SB-Bereiche, basierend auf dem Einsatz Künstlicher Intelligenz, erkennt Einkaufswagen und ihre Bewegungsrichtung. Verlässt ein Einkaufswagen ohne vorherigen Kassenkontakt den SB-Bereich, werden ein Mitarbeitender benachrichtigt, eine Lautsprecherdurchsage ausgelöst oder eine Lichtschranke aktiviert.
Derartige Lösungen, für die oft auch Bestandskameras verwendet werden können, sind auch in Kombination einsetzbar und sind häufig sogar interaktionsfähig.
Self-Checkout: Die neuen Methoden der Langfinger
- Ware an Körper, Kleidung, Behältnissen versteckt
- Umetikettierung im Verkaufsraum
- Falsches Etikett bei Gewichtsware
- Verlassen des Geschäfts ohne Kassenkontakt
- Artikel wird nicht gescannt
- Scan von einzelnem Artikel statt Gebinde
- Ware wird nur scheinbar gescannt (Strichcode mit Hand verdeckt, am Scanner vorbeigeführt)
- Eingabe eines billigeren Artikels bei Stück- oder Gewichtsartikel
- Überklebter Strichcode (z.B. Gewichtsetikett statt GTIN oder hochpreisige Artikel auf O+G abwiegen)
- Barcode-Tausch bei gewichtsgleichen Artikeln
- Stückartikel statt GTIN (z.B. GTIN auf Backwaren)
- Scannen ohne Bezahlung
- Nicht gedeckte Girocard erzeugt Bon ohne Bezahlung, kann aber optisch wie eine Bezahlung wirken
- Mehrfach eingesetzte Coupons und Gutscheine (nicht immer softwareseitig lösbar)
- Zwei Kassenbons erzeugen, davon einer zur Weitergabe an eine andere Person oder zu einer späteren, dann unberechtigten Ausgangsöffnung
- Bonabbruch am Self-Checkout, Täter wartet, bis Servicekraft wegschaut
- Ablenkung der Servicekraft durch zweite Person im Self-Checkout-Bereich