In China ist es mit etwa zehn Prozent Anteil am E-Commerce bereits ein großer Trend: Livestream-Shopping, das ein bisschen so wie Teleshopping ist. In Live-Shows, die über Video-Plattformen oder Websites ausgespielt werden, werden den Zuschauenden Produkte vorgestellt. Diese können sich über Chat-Funktionen an der Show beteiligen, Fragen stellen und die Produkte dann mit wenigen Klicks direkt über ihr Smartphone kaufen. Gepusht werden die Umsätze durch beliebte Influencer:innen, die für entsprechende Aufmerksamkeit auf den Social-Media-Plattformen sorgen.
Von einem Hype à la China ist das Format hierzulande noch weit entfernt, aber die Corona-Pandemie hat auch bei diesem Thema als Katalysator gewirkt. Die Online-Umsätze schossen in die Höhe und mit ihnen erste Ermüdungserscheinungen. „Viele haben festgestellt, dass Onlineshopping zu Hause auf dem Sofa eine ganz schön einsame und wenig spaßige Angelegenheit ist. Livestream-Shopping verknüpft den Online-Einkauf mit Entertainment und bezieht die Zuschauenden durch die Interaktionsmöglichkeit ein.“
Alexander von Harsdorf hat zusammen mit Partnern das Tool „Livebuy“ entwickelt, das es den Zuschauenden ermöglicht, direkt aus den Livestreams heraus die präsentierten Produkte in den Warenkorb des Onlineshops zu legen. Zu den ersten Anwendern der Lösung gehört Beauty-Filialist Douglas, der seit Herbst 2020 mehrmals die Woche auf Sendung ist: Neben Produktpräsentationen gibt es regelmäßige Live-Tutorials mit professionellen Schmink- und Pflegetipps. Die Parfümeriekette, die ihr Filialnetz im Laufe des Jahres stark ausdünnen will, setzt verstärkt aufs Online-Business: „Mit neuen Formaten wie dem Live-Shopping mit Unterhaltungsfaktor möchten wir die Kundenbindung stärken und neue Kundinnen in der Zielgruppe der 20- bis 39-Jährigen gewinnen. Dass uns dies gelingt, zeigen die ersten Analysen. Wir sind mit der Resonanz sehr zufrieden“, so eine Unternehmenssprecherin.
Präsent im Lockdown
Auch wenn Livestream-Shopping-Formate ihren Ursprung im E-Commerce haben, werden sie von primär stationär agierenden Händlern ebenfalls zur Kundenansprache genutzt. Gerade während der Lockdowns waren sie für viele Händler eine gute Möglichkeit, Präsenz zu zeigen und mit den Kunden in Verbindung zu bleiben.
Dies gilt auch für den norddeutschen Modefilialisten Ramelow mit Haupthaus in Elmshorn sowie acht weiteren Filialen. Seit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 gehen die vier größten Ramelow-Häuser in Heide, Stendal, Uelzen und Elmshorn regelmäßig „on air“: Zwei Mitarbeitende aus dem Verkaufsteam zeigen zweimal die Woche in ca. 20-minütigen Live-Videos eine Auswahl an Artikeln zu bestimmten Trend- oder Saisonthemen. Die Streamings werden über Instagram und Facebook ausgespielt und haben durchschnittlich etwa 40 bis 50 Teilnehmende.
Über die Chatfunktionen auf den Social-Media-Plattformen können Fragen gestellt werden. Der Kauf ist allerdings nicht per einfachem Klick möglich. Wer ein Produkt bestellen möchte, muss die eingeblendete Telefonnummer anrufen oder im Onlineshop den gewünschten Artikel aussuchen. „Das ist natürlich nicht der direkteste Weg, aber ein guter Teil unserer Kundschaft steht sowieso mit seinen jeweiligen Lieblingsverkäufern und -verkäuferinnen über Whatsapp in Verbindung und hat keine Berührungsängste, Kontakt aufzunehmen. Wir werden dieses Format auch weiterführen, wenn unsere Häuser wieder geöffnet sind“, erklärt Stephanie Essack, Head of Marketing bei Mode Ramelow.
Persönlich via Video-Chat
Eine andere Form des Livestream-Shoppings, die weniger unterhaltend, aber dafür sehr persönlich ist, ist die des Einzel-Beratungsgesprächs per Video-Chat. Modehändler Alexander Lochner aus dem bayerischen Burghausen hatte dieses Format für sein Geschäft „Top Fashion“ während des ersten Lockdowns aus der Not heraus entwickelt. Auf Basis eines Vorgesprächs mit den Kund:innen stellt Alexander Lochner verschiedene Outfits zusammen und präsentiert sie dann per Live-Video. „Die Facetime-Beratungen einschließlich der Vorbereitung sind sehr zeitaufwändig. Aber wir erzielen darüber sehr gute Bons und haben auch viele Neukundinnen gewonnen, die nicht in unserem Einzugsgebiet wohnen“, freut sich Lochner.
Beim Stuttgarter Fachgeschäft für Betten, Möbel und Wohntextilien Mannsdörfer gehören Video-Beratungen schon seit drei Jahren zum Service und sind Teil der Digitalisierungsstrategie, die Marcus Mannsdörfer mit viel Energie vorantreibt: „Unser Ziel ist es, dass wir unsere Beratungskompetenz und unsere Ausstellungsfläche auch digital optimal als Wettbewerbsvorteil nutzen können.“ Während des Lockdowns im Winter wurden fast täglich größere Kaufabschlüsse per Video-Beratung realisiert. Viele davon kamen über den Onlineshop zustande, in dem das gesamte Sortiment abgebildet ist. Bei erklärungsbedürftigen Produkten wie z. B. Bettsystemen poppt direkt ein Button auf, über den die Webshop-Besuchenden persönlichen Kontakt zum Verkaufsteam aufnehmen können. „Viele haben aber noch Berührungsängste mit Tools wie Whatsapp-Videocall und greifen lieber zum gewohnten Telefonhörer.“