
Smarte Einkaufswagen begleiten die Kundschaft durch den Supermarkt.
Foto: 7Fresh
Noch sind die USA der weltweit größte Retail-Markt, doch Prognosen zufolge wird sich dies bis 2023 zugunsten von China ändern. Im Jahr 2019 stieg dort der Umsatz mit dem Handel mit Konsumgütern um 8 Prozent auf knapp 6 Bio. USD, allein der Lebensmittelumsatz wird dabei auf ca. 1,8 Billionen USD geschätzt. Marktführer im Food-Handel sind Unternehmen, die nur China-Experten bekannt sein dürften: die CR Vanguard Gruppe, RT Mart, Yonghui und Lianhua. Mit Walmart steht derzeit nur ein internationaler Konzern unter den Top 5.
Dies zeigt auch, wie schwierig es für ausländische Player ist, sich im chinesischen Markt zu behaupten. Mit Auchan (im Joint-Venture mit Alibaba) und Carrefour (seit kurzem nur noch mit einer Minderheitsbeteiligung) sind noch zwei globale LEH-Retailer in größerem Umfang präsent. Andere wie Metro, Tesco und die koreanischen Gruppen Lotte und E-Mart haben China den Rücken gekehrt. Mit Spannung wird nun beobachtet, wie sich Aldi nach dem Markteinstieg im Jahr 2019 behaupten wird.
Im Food-Bereich sind die Entwicklungen derzeit besonders spannend, zumal dort auch der Online-Sektor hohe Wachstumsraten verzeichnet. Daher war in 2020 eigentlich eine größere Studienreise des MLF nach Shanghai geplant, verbunden mit einem Besuch der Retail-Messe C-star, dem chinesischen Ableger der EuroShop. Die Covid 19-Pandemie hat diesen Plan früh zunichte gemacht.
Verschmelzung von On- und Offline

Die Supermärkte von Hema sind Technologievorreiter im Lebensmitteleinzelhandel Chinas.
Foto: EHI
Die größte auch internationale Aufmerksamkeit wurde in den vergangenen Jahren sicher dem Supermarkt-Konzept Hema (auch bekannt unter „Freshhippo“) des Alibaba-Konzerns zuteil. Seit 2017 der erste Store in Shanghai eröffnet wurde, hat das Unternehmen eine beeindruckende Entwicklung genommen und verfügt heute bereits über ein Netz von ca. 230 Filialen. In 2019 katapultierte sich Hema mit einem Umsatzwachstum von 185 Prozent auf Rang 6 des nationalen Supermarkt-Rankings. Geplant sind bis zu 2.000 Stores in den kommenden Jahren.
Erfolgsgarant ist die weltweit bisher einzigartige Verschmelzung von On- und Offline-Business in den Hema-Märkten. Einerseits fungieren diese als stationärer Supermarkt mit ausgeprägtem Frische-Angebot inklusive Restaurant, gleichzeitig dienen sie aber auch als Distributions-Drehscheibe für lokale Online-Käufe im Umkreis von 5 km. Dabei kommt ein ausgeklügeltes Technologie-Konzept zum Einsatz. Die Preisauszeichnung erfolgt ausschließlich digital, bezahlt wird per App über Alipay oder Wechatpay, in einigen Märkten auch per Gesichtserkennung. Online getätigte Einkäufe werden dem Filialpersonal auf Mobile Devices angezeigt, sehr schnell gepickt und in Transportbehältern über ein unter der Decke befindliches Transportband ins Lager geschickt. Dort warten bereits die Auslieferer auf E-Scootern und bringen die Bestellung innerhalb von 30 Minuten zu den Kunden.

Online-Einkäufe werden bei Hema auf der Supermarktfläche gepickt und über ein Transportband ins Lager transportiert.
Foto: EHI
Alibaba-Gründer Jack Ma hat mit dem Hema-Konzept den Begriff „New Retail“ geschaffen, der inzwischen viele Nachahmer gefunden hat – allen voran der große Tech-Rivale JD.com, der seit 2017 mit seinen 7Fresh-Supermärkten am Start ist und ähnlich ambitionierte Pläne wie Alibaba hat. Zwar fehlt bei 7Fresh die smarte On- und Offline-Verschmelzung per Transportband von Hema, dafür steckt JD andere digitale Features in die Stores. Große Screens über den Frische-Sortimenten zeigen Informationen zu den Produkten, sobald diese vom Kunden entnommen werden, bezahlt wird per Gesichtserkennung oder App. Highlight sind kleine, „smarte“ Einkaufswagen, die den Kunden durch den Markt folgen. Benötigt wird dafür auf Kundenseite ein smartes Armband, das dem Wagen den Weg weist. Die Ware wird beim Hineinlegen automatisch gescannt.
Essen nur per App
Vor allem die Metropolen Shanghai und Peking sind aus der Retail-Perspektive einen Besuch wert, nicht nur wegen Konzepten wie Hema und 7Fresh. In Shanghai hat Ikea in diesem Jahr beispielsweise ein sehr bemerkenswertes City-Konzept gelauncht, bei dem Technologie ebenfalls eine wichtige Rolle spielt. Jedes Produkt ist dort mit einem QR-Code versehen und kann damit auch direkt aus dem Store nach Hause versendet werden. Das Restaurant bietet ausschließlich Bestellung und Bezahlung per App an.
Ein weiteres Highlight in Shanghai ist die gigantische „Starbucks Roastery“, die Ende 2017 eröffnet wurde und zur weltweit größten Starbucks-Filiale wurde. Kunden und Kundinnen können dort Coffee- und Tea-Tastings erleben und die gesamte Produktionskette von der grünen Kaffeebohne bis zum Fertigprodukt verfolgen.
Und nicht zuletzt gibt es in Shanghai auch die ersten Aldi-Filialen in China zu besuchen. Wer dabei eine Kopie der europäischen oder amerikanischen Aldi-Stores erwartet, wird sich vermutlich die Augen reiben. Das Design der Läden ist wesentlich hochwertiger und eher vergleichbar mit dem Australien-Konzept des Discounters. Das Sortiment besteht aus einer Mischung aus chinesischen und europäischen Produkten, ähnlich wie dies auch bei hochwertigen Supermärkten wie Ole, Bravo oder CitySuper der Fall ist. Und ohne Hightech funktioniert auch ein Aldi in China nicht: Kunden und Kundinnen können die Ware bereits während des Einkaufs scannen und per App bezahlen und auschecken. Auch bietet Aldi einen Lieferdienst an, der ähnlich wie Hema innerhalb von 30 Minuten im Umkreis zustellen kann.
Mut zum Ausprobieren

Bezahlt wird bei Hema mit Alipay oder Wechatpay.
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Ob Aldi langfristig in China erfolgreich sein kann, wird wesentlich vom Expansionstempo der kommenden Jahre abhängen. Derzeit betreibt das Unternehmen nur 7 Geschäfte, damit wäre man auf Dauer nach einhelliger Expertenmeinung deutlich zu klein für den Markt. Zudem ist man auf dem Discountmarkt in China nicht allein und trifft auf einen „alten Bekannten“: Der ehemalige Aldi-Manager Brandes hat mit Biyide innerhalb von 3 Jahren ein Netz von über 100 Filialen aufgebaut und dabei eine Art „Back to the Roots“-Konzept verfolgt. Die Biyide-Läden sind in der Regel nicht größer als 200 qm, befinden sich vornehmlich in Wohngebieten und sind auf einfachste Weise eingerichtet. Das Sortiment besteht wie bei Aldi aus deutschen und chinesischen Produkten.
Ob alle Hightech-Formate in China in ihrer derzeitigen Form überleben werden, wird sich zeigen. Der chinesische Markt ist auch dadurch charakterisiert, dass Innovationen in hohem Tempo in den Markt gebracht werden, auch wenn nicht sicher ist, ob die Kundenakzeptanz gegeben ist. Ein Beispiel hierfür sind die containerähnlichen „Unmanned Stores“ wie Bingo Box, die komplett autonom ohne Personal und mit sehr kleinen Sortimenten funktionieren. Diese wurden bei ihrer Entstehung vor einigen Jahren stark gehypt, sind inzwischen aber größtenteils wieder verschwunden – die Konkurrenz kleiner, besser ausgestatteter und günstiger Convenience Stores war zu groß.