Gegenüber einem günstigen modischen Sweater gerät der teurere, fair gestrickte Pullover aus Wolle von glücklicheren Schafen schnell in Erklärungsnotstand, wenn er unkommentiert im normalen Sortiment hängt. Besonders in der Modebranche, aber auch in anderen Handelssparten ziehen immer mehr Produkte mit ökologischem und sozialverträglichem Produktionshintergrund in die Sortimente ein.
Die Kunden ihrerseits begegnen nachhaltigen Produkten offener denn je, viele suchen gezielt danach. Doch Nachhaltigkeit sieht man einem Produkt nicht an, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Kunde und Produkt müssen also zusammengeführt werden. Wie inszeniert man Nachhaltigkeit?
„Der Lebensmittelhandel hat den anderen Branchen hier einiges voraus“, meint Stefan Rauchfuss vom Architektur- und Designbüro Goldstein Studios. Mit Bio-Gemüse und den einschlägigen Trockensortimenten hat der Kunde viele Jahre Erfahrung gesammelt, die Platzierungen im Laden sind gelernt, und wo eine Marke mit ökologischem Fußabdruck neu gelistet wird, reicht nicht selten ein mitgeliefertes aufmerksamkeitsstarkes Display aus Leichtholz oder Pappe.
Anderswo sind Präsentationslösungen gesucht, die nachhaltige Sortimentsanteile auf der Verkaufsfläche kommunizieren, positiv in Szene setzen und den Kunden locken.
„Outstanding” erwünscht
In jedem Falle „outstanding“ sollte die Inszenierung nachhaltiger Sortimentsanteile sein, betont Rauchfuss. Concept-Store-, untervermietete Pop-up- und Wechselflächen bieten sich genauso an wie dauerhafte Insel-Präsentationen. Die Art der Inszenierung sollte das Thema bereits erkennbar machen, um den Kunden zu erreichen.

„Detox-Shop“ von Armedangels, hier noch als temporäres Pop-up bei Lengermann + Trieschmann in Osnabrück.
Foto: ArmedAngels
„Feste Inseln bzw. Shop-in-Shop-Flächen machen es für Marke und Konsument einfacher, miteinander zu kommunizieren. Hier kann man ganz ins Thema eintauchen und holistisch kommunizieren“, sagt Markus Steinhoff von Armedangels. Die Fashion-Brand, die zu den Vorreitern und Meinungsführern in Sachen Nachhaltigkeit bei Kleidung zählt, baute mit der Retail-Agentur About Kokomo ein entsprechendes Pop-up-Konzept. Im vergangenen Jahr wurden die temporären Shops in Bekleidungshäusern wie Engelhorn in Mannheim platziert – als Testlauf. Seit Anfang dieses Jahres werden sie in dauerhafte Flächen übertragen.
„Der Erfolg für den Handel gibt dem Ansatz Recht – wir beweisen, dass sich Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Attraktivität nicht ausschließen“, so Steinhoff. Das Shop-Konzept ist modular aufgebaut, um flexiblen und langlebigen Einsatz sicherzustellen. Es nutzt die Höhe des Raums und wirkt mit dem Claim „Detox Denim“ als Eyecatcher.
„Die Ansprache über visuelles Storytelling hilft dem Konsumenten und dem Verkäufer“, sagt Steinhoff. An recycelten und recyclingfähigen Baumaterialien für den Shop wird bei Armedangels weiter geforscht, da die eigenen Markenwerte auch da zum Ausdruck kommen sollen.
Wiederverwendbarkeit
Dort, wo temporäre Inszenierungen geplant sind, wird besonders der traditionell hohe Materialeinsatz und -verbrauch des Visual Merchandisings ins Visier genommen. Viele VM-Agenturen arbeiten mit Hochdruck an umweltverträglicher gestalteten Logistikprozessen und Justierungen beim Material. Wegwerf-Komponenten werden durch smartere, wiederverwendbare Systeme ersetzt. Hier wird einiges, was lange undenkbar erschien, möglich gemacht.

Temporäre Inszenierung bei Galeries Lafayette in Paris anlässlich der Nachhaltigkeits-Kampagne „Go for Good“.
Foto: Galeries Lafayette/Paul Blind
Retail-Agenturen, die sich aus persönlicher Überzeugung mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen, erkennen auch im strikten Vermeiden von Einweg-Elementen durchaus einen gestalterischen Reiz. „Keine Müllpresse“, lautet die Parole bei Goldstein, wo für temporäre Inszenierungen ausschließlich Secondhand-Möbel und Design-Klassiker eingesetzt werden.
Die Outdoor-Marke Vaude, auch ein Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit, verwendet seit 9 Jahren denselben Messestand aus Eschenholz – schadhafte Bretter werden einzeln ausgetauscht. „Und wir inszenieren das bestehende Material so, dass der Messestand jedes Jahr anders wirkt“, betont Lisa Beck von Atelier 522.
Mehr als Greenwashing
Ob es sinnvoll ist, Nachhaltigkeit à la longue ausschließlich als Verkaufsthema zu betrachten, kann bezweifelt werden. „Der Kunde ist clever, er erkennt, wie ernst es einem Händler ist, und honoriert, wenn er es zu seinem persönlichen Anliegen gemacht hat“, so Stefan Rauchfuss.

Eco-Themen werden gerne mit Naturelementen in Szene gesetzt. Statt künstlicher Blumen sind es hier getrocknete Echtblumen, die einen ganz eigenen Charme entfalten.
Foto: Form Factory
Und Markus Steinhoff sagt: „Was ist Eco, fair, sustainable? Wie finde ich mich durch den Zertifikate-Dschungel hindurch? Wer meint es ernst, und wer versucht nur, den Trend zu kapitalisieren? Hier entsteht für den Einzelhandel auch die Chance, sich als eine Art Kurator oder Wegweiser zu positionieren.“
So geschehen zum Beispiel bei den Galeries Lafayettes, die in ihren Häusern seit 2018 die Spätsommer-Wochen unter das Zeichen der Nachhaltigkeit stellen. Dann werden im Rahmen der „Go for Good“-Kampagne weithin sichtbare „Sustainable-Inseln“ auf den Verkaufsetagen eingerichtet, in denen nach ökologischen, sozialen und regionalen Kriterien ausgewählte Fashion-, Beauty, Home- und Gourmet-Produkte attraktiv arrangiert werden.
Viele Workshops und Vorträge der zeitgleich unter dem Titel „Changeons de Mode“ (Modewechsel) veranstalteten Programmreihe sind weit im Voraus ausgebucht. Vom Erfolg angespornt, verankern die Galeries Lafayette die Nachhaltigkeit nun auch nachhaltig im Unternehmen und scheinen dabei eine Vorreiterrolle anzupeilen: Vor wenigen Monaten wurde ein Maßnahmenkatalog vorgestellt, mit dem sich das Handelshaus bis 2024 massiv auf „Grün“ umstellen will.