Zur Person: Markus Guggenbühler
Seit 2015 ist Markus Guggenbühler (54) CIO bei der Manor AG. Neben der IT-Abteilung verantwortet er seit März 2017 auch den Bereich Supply Chain. Vor seinem Einstieg bei Manor war Guggenbühler 7 Jahr als CIO beim Schweizer Handelsunternehmen Valora AG tätig. Der gelernte Datenverarbeitungskaufmann ist deutscher Staatsbürger und hat einen Abschluss als Dipl. Betriebswirtschaftler sowie Master of Management an der St. Gallen Business School.
Herr Guggenbühler, was sind für Sie die wichtigsten technologischen Trends für die nächsten drei Jahre im Handel?
Vor allem Anwendungen mit Künstlicher Intelligenz, zum Beispiel bei Forecasting, Pricing oder im Zusammenhang mit kundenorientierten Features wie Chatbots. Ein Schwerpunkt bleibt die Cross-Integration von stationären und Online-Kanälen mit dem Ziel der vollständigen Durchlässigkeit über alle Vertriebswege und Plattformen. Nach wie vor hohe Relevanz hat der weitere Ausbau der Cloud-Infrastrukturen.
Welches sind die wichtigsten Projekte, die bei Manor auf kurze bis mittlere Sicht anstehen?
Wir haben in den letzten drei bis vier Jahren eine komplett neue Basis für Omnichannel-Anwendungen geschaffen und hier massiv in geplante Omnichannel-Services investiert. Der sogenannte Omnia-Retail-Hub umfasst im Wesentlichen ein neues ERP- und CRM-System, das auf Basis von Microsoft DFO365 komplett in der Azure-Cloud abgebildet ist. Außerdem wurde die gesamte POS-Infrastruktur komplett erneuert. Auf dieser Basis werden wir nun im Rahmen unserer Digitalisierungsstrategie alle Folgeprojekte implementieren.
Welche sind das beispielsweise?
Mit der konsequenten Orientierung als Omnichannel-Retailer bauen wir Prozesse wie Click & Collect, Click & Reserve, Instore- Ordering und Kundenberatungs-Apps aus. Weitere Schwerpunkte sind die Ausstattung der Warenhausfilialen mit mobilen Tablet-Lösungen und die Erweiterung unserer Loyalty-Card um neue Funktionen.
Für welche Anwendungen werden die mobilen Endgeräte in den Filialen genutzt?
Wir setzen momentan in allen Filialen rund 1.700 iPods mit Scanning- Funktion ein. Diese Geräte haben die klassischen MDE-Geräte ersetzt und werden zunächst für alle warenwirtschaftlichen Anwendungen genutzt. In der nächsten Phase ab 2020 werden wir weitere Omnichannel- und CRM-Anwendungen ausrollen, die eine optimale Beratung der Kunden über den gesamten Prozess bis zum Checkout abdecken sollen. Auch der Einsatz von mobilen Kassen ist in naher Zukunft geplant. Für diese Anwendungen werden wir 400 iPads einsetzen. Insgesamt beobachten wir eine hohe Akzeptanz bei unseren Mitarbeitern.
Welche Technologien unterstützen die Mitarbeiterkommunikation auf der Fläche?
Vor zwei Jahren haben wir eine Mitarbeiter-App lanciert, die auch über private Devices den direkten Zugriff auf das Intranet und auch Push-Meldungen ermöglicht. Über den gleichen Kanal haben wir auch Online-Trainings im erwähnten Omnia-Projekt abgewickelt.
Manor: Schweizer Platzhirsch
Die Manor AG mit Hauptsitz in Basel ist Schweizer Marktführer im Sektor Warenhäuser mit einem Marktanteil von rd. 60 Prozent (eigene Angaben). Das 1902 gegründete Unternehmen beschäftigt rund 9.500 Personen. Zur Manor Gruppe gehören 61 Warenhäuser, 31 Food-Märkte und 29 Restaurants („Manora“). Insgesamt führt Manor über eine Million Artikel von 2.800 Lieferanten, darunter 700 lokale Produzenten. Manor ist ein Unternehmen der Maus Frères Familien-Holding und weiterhin im Besitz der Familie Maus & Nordmann. Zu dieser Gruppe gehören neben Manor auch die Marken Lacoste, Gantt und The Kooples.
Werden Smartphones das MDE-Gerät künftig ersetzen?
Teilweise. Wie erwähnt haben wir uns, was den Einsatz auf der Fläche angeht, für Smartphones und Tablets entschieden – einfach deshalb, weil sie viel näher am gewohnten Umgang unserer Angestellten sind. Für bestimmte Bereiche, zum Beispiel in der Logistik, macht es immer noch Sinn, dezidierte MDE-Infrastrukturen zu verwenden.
Inwieweit wird das Smartphone des Kunden für Marketingzwecke genutzt?
Die zielgerichtete Ansprache des Kunden mit Location-based- Marketing-Anwendungen direkt über das Smartphone wird in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Voraussetzung ist, dass der Kunde einen echten Mehrwert erfährt und sich nicht durch permanent erscheinende Pop-ups gestört fühlt. Wir haben vor zwei Jahren in unseren Supermärkten IP-Adressen-Tracking getestet, die Tests aber aus Privacy-Gründen eingestellt.
Bei stationären Self-Checkouts war Manor Vorreiter in der Schweiz. Heute setzen Sie stattdessen auf Hybrid-Kassentische, die bedientes Kassieren und Self-Scanning ermöglichen. Warum?
Wir wollten anfangs Erfahrungen sammeln mit Self-Checkouts und kommen auf dieses Thema auch möglicherweise wieder zurück. Mit den hybriden Self-Checkout-Terminals können wir in Hochfrequenzphasen mit zwei Handgriffen auf bediente Kassen wechseln. Im gesamten Nonfood-Bereich, dem Kernbereich eines Warenhauses, setzen wir bewusst nicht auf Self-Scanning und Self-Checkout-Lösungen. Wir möchten hier den direkten Kontakt zum Kunden halten und sehen hier die genannten Tablet-Lösungen zur Kundenberatung und Kassierung als sinnvoller an. Was wir jedoch nicht ausschließen, sind Self-Scanning und Self-Checkout-Lösungen in der Kunden-App.
Scannen und bezahlen über das Kunden-Smartphone – ist das die Zukunft der Bezahlverfahren am POS?
Scannen ist sicher denkbar, wie gerade erwähnt. Wir schauen uns hier auch schon Lösungen an. Es muss dem Kunden einfach einen konkreten Mehrwert bringen, und die gesamte Customer Experience muss stimmen. Bezahlen wird in Zukunft nach meiner festen Überzeugung weitestgehend über das Smartphone laufen. China macht uns vor, in welche Richtung es gehen wird.
Werden digitale Kassenbons den gedruckten Bon ersetzen?
Ich denke ja. Bei Anwendung von Mobile Payment und anderen Customer-Support-Apps ist der Kassenbon ein „Systembruch“. Aber es gilt auch: Die gesamte Customer Experience muss stimmen. Der Kunde will in Zukunft nur eine Anwendung, auf der er seine Kassenbelege speichert und auswertet. Ich glaube nicht, dass sich hier händlerspezifische Plattformen durchsetzen werden.
Welche Vorteile versprechen Sie sich von Anwendungen aus der Cloud?
Wir betreiben das gesamte ERP und CRM heute vollständig in der Cloud. Man sagt uns nach, dies sei aktuell die global größte ERP-Implementierung im Retail-Umfeld. Ohne diese Aussage bestätigen zu können, behaupte ich aber, dass wir bei der Cloud-Technologie in unserer Branche eine Vorreiterrolle einnehmen. Strategisch betrachtet streben wir eine vollständig skalierbare Infrastruktur an, von der Systemdimensionierung bis zu den Kosten. Diese Ausrichtung ermöglicht es uns in Verbindung mit einer Standard-Software, dass wir uns agil auf die Anforderungen des Kerngeschäfts konzentrieren können. Nehmen Sie alleine den Aufwand für das Systemmanagement oder auch die Security-Anforderungen. Wir setzen hier auf verlässliche Partner und fokussieren uns auf Innovationen und neue Business-Felder.

Über Tablet-PC haben die Marktmitarbeiter Zugriff auf das ERP-System
Foto: Manor
Wie ist das Innovationsmanagement bei Manor organisiert?
Wir stehen in engem Austausch mit allen Business-Units vom Einkauf über die Logistik bis hin zum Vertrieb. Ein zentralisiertes Innovationsmanagement haben wir nicht. Wichtig ist für uns immer, einen direkten Kundennutzen zu generieren und nicht auf jedes Thema aufzuspringen. Wenn die Zeit reif ist und sich ein spannender Case abzeichnet, setzen wir dies dann konsequent um.
Welche Marktbedeutung messen Sie auf kurze bis mittlere Sicht „smarten Technologien“ bei?
AR und VR werden eine Rolle spielen bei speziellen Anwendungen, wo es beispielsweise um die Visualisierung von Produkten geht. Chatbots sind ein gutes Mittel, um mit der großen Menge an Kundenanfragen und Kundenkontakten zielgerichtet umzugehen und auf die wichtigsten Themen zu fokussieren. Das Thema Robotics wird künftig unverzichtbar sein. Ein hohes Potenzial hat es besonders in der Logistik und vor allem in der E-Commerce-Logistik. Die Künstliche Intelligenz wird in allen wichtigen Prozessen von der Warenwirtschaft bis hin zum Kundenkontakt eine Rolle spielen.
Und was halten Sie von intelligenten Umkleidekabinen?
Das Thema halte ich für überschätzt, aber sie sind sicher sinnvoll, um Innovationskraft zu signalisieren.
Das Interview führte Winfried Lambertz.