Der Gastronomiebereich hat sich in London zu einer neuen Umgebung entwickelt, in der Lebensmitteleinzelhandel, Casual Dining und Gourmeterlebnis zusammenkommen. Der Katalysator für diese Entwicklung war der London Borough Market, ein urbaner Lebensmittelmarkt, der aus einem etablierten, aber strauchelnden traditionellen Markt hervorgegangen ist und mit einem neuartigen kulinarischen Angebot angetreten ist.
Inzwischen haben sich zahlreiche neue Gastronomiekonzepte entwickelt. Thomas Rose, Leiter der Abteilung Leisure & Restaurants des Beratungsunternehmens Cushman & Wakefield sagt: „Unseren Recherchen zufolge sind in den nächsten vier Jahren 16 Food Halls in London geplant auf insgesamt 28.000 Quadratmetern.“
Mercato Metropolitano ist da
Ross Kirton vom Beratungsunternehmens Colliers International sagt, dass zunehmend zwanglose Essgewohnheiten diese Entwicklung beeinflussen. „Der Trend geht weg vom Dreigänge-Menü und hin zu kleineren Portionen oder einzelnen, von allen Personen geteilten Gerichten sowie insgesamt zu größerer Lockerheit und Geselligkeit.“
Das in dieser Hinsicht am weitesten und innovativsten entwickelte Konzept in London ist ein italienisch anmutender Markt, der letztes Jahr in einer alten Papierfabrik im Süden von London nur wenige Minuten vom Borough Market eröffnet hat. Der Mercato Metropolitano wurde nach dem Vorbild der riesigen Markthallen in Turin und Mailand entworfen und bietet eine Vielzahl an regionalen italienischen Gerichten sowie internationale Küche, die vor Ort handwerklich zubereitet wird. Hinter dem Projekt steht Andrea Rasca, der auch an der Einführung von Eataly beteiligt war – ein Projekt, aus dem er ausgestiegen ist, weil ihm dessen kommerzielle Entwicklung zu weit ging.
Neben verschiedenen zwanglosen Angeboten im Bereich Essen und Trinken bildet ein sizilianischer Supermarkt mit Produkten aus Italien das Herzstück des Marktes, hinzu kommen wechselnde Food-Trucks in dem urbanen Garten sowie ein Barbershop, eine Kochschule, ein Co-Working-Space und ein Kino. Durch eine Crowdfunding-Runde hat Rasca weitere rund 450.000 Euro für den Ausbau des Mercato Metropolitano gesammelt.
Im Osten von London baut die Canary Wharf Group ihr Gastronomie-Angebot aus. Eröffnet wurde der Markt London Union, der im „Giant Robot“-Gebäude auf den 1.000 qm des „Crossrail Place Roof Garden“ eine Vielzahl von Street-Food-Angeboten zusammenbringt. Der Innenraum ist wie eine Mischung aus Flughafenabflughalle und Nachtclub: Betonböden, Retro-Möbel, hippe Musik, vier Straßenverkaufsstände, zwei Bars und ein Café. Außen gelangt man zur „Rooftopia“, einer Dachlandschaft mit eigens angelegtem Regenwald unter einer lichtdurchlässigen, von Holzstreben getragenen Kuppel, die teilweise wieder geöffnet wurde, um Wind und Vögel hineinzulassen.
Ein interessantes Gebäude wie eine aufgegebene Lagerhalle und kurze Mietverträge – das sind für Jonathan Downey, Mitgründer von London Union, die entscheidenden Voraussetzungen für den Erfolg urbaner Gastronomie. Und dann gilt es, „daraus innerhalb kurzer Zeit etwas Interessantes zu machen.“ Downey: „Der wichtigste Teil unseres Geschäfts ist es, talentierten Nachwuchs zu finden, zu beraten und zu unterstützen.“
Eataly kommt
Obwohl eine geplante Eataly-Food-Hall bei Selfridges nicht zustande gekommen ist, hat der italienische Food- und Gastronomie-Riese bestätigt, dass er für 2020 die Eröffnung seines ersten britischen Standorts im Londoner Office- und Retail-Komplex Broadgate plant. Die rund 3.900 qm große Fläche wird sich auf ein Erdgeschoss und die erste Etage verteilen. Der Broadgate Estate ist rund 13 Hektar groß und überwiegend eine Fußgängerzone.
Luca Baffigo, der CEO von Eataly erzählt: „Wir haben vor der Eröffnung unserer ersten Eataly-Filiale in Italien den Borough Market in London besucht und uns davon inspirieren lassen. Daher ist es für uns jetzt besonders wichtig und spannend, in London einen Standort zu eröffnen, weil London für unsere eigene Entwicklung so wichtig ist. Das motiviert uns, in London ein besonderes Erlebnis zu schaffen.“
Eataly hatte mehr Glück als das Unternehmen Time Out, das geplant hatte, auf dem Gelände ehemaliger Stallungen in Shoreditch in Ost-London einen Gastronomie-Standort auf 4 Stockwerken mit 17 Restaurants, 4 Bars und Plätzen für 450 Personen zu eröffnen. Der Antrag wurde letztes Jahr von der Londoner Stadtplanung abgelehnt. Time Out verlor auch das anschließende Berufungsverfahren. Die Entscheidung eines zweiten Berufungsverfahrens steht in Kürze an. Mit dem Mammutprojekt will Time Out an seinen 2014 in Lissabon eröffneten Standort anknüpfen, der zu einer der beliebtesten Touristenattraktionen der portugiesischen Hauptstadt wurde.
Time Out will kommen
Jonathan Doughty, Leiter der Foodservice-Abteilung von ECE Projektmanagement, hat „keinen Zweifel daran“, dass Time Out einen geeigneten Standort in London finden wird. Er bezweifelt allerdings, ob die örtlichen Behörden und Vermieter mit der rasanten Entwicklung des Gastronomie-Markts Schritt halten können. „Der Wandel vollzieht sich so schnell. Gastronomische Angebote veralten rasch.“
Time Out, im Kerngeschäft ein Reiseführer-Verlag, hat ebenfalls Pläne für gastronomische Standorte in Miami, New York, Boston, Chicago und Porto. Für Didier Souillat, CEO von Time Out Markets, ist die Standortwahl der Schlüsselfaktor: „Geeignete Standorte zu finden,wo die Menschen arbeiten und leben und wo Touristen sind, ist sehr schwierig. Wir müssen aufstrebende Standorte finden, die wir uns jetzt leisten können und die in zwei oder drei Jahren schon zu teuer sind.“ Als Grundvoraussetzung für die Standortwahl nennt Souillat, dass man eine Benchmark von 1.000 Gästen hat, die man pro Tag erreichen will.
Daneben gibt es auch neue Akteure. Market Halls eröffnet 2018 in London 3 neue Food Halls – und 3 weitere im nächsten Jahr. Der erste Standort, Market Hall Fulham, wurde im Mai mit 10 Food-Anbietern und einer Bar in der Eingangshalle des Edwardianischen U-Bahnhofs am Fulham Broadway eröffnet. Im Sommer folgt Victoria, eine dreistöckige Food Hall, und im Herbst der Hauptstandort Market Halls West End gleich neben der Oxford Street. Simon Anderson, Partner des Projekts sagt: „Wir ermutigen unsere Betreiber, innovativ zu sein und ihren eigenen Charakter herauszustellen. Essen ist der neue Rock’n’Roll, und wir bieten die perfekte Bühne.“
Fotos (8): Saramontali (2), Dinerma, Johnny Stephens Photography, Harris + Hoole, Borough Market, Time Out Markets, Hawker House
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