Der E-Commerce hat das Konsum- und Kaufverhalten der Verbraucher verändert. Fashion, Schuhe, Sportartikel und Unterhaltungselektronik werden heute zu hohen Anteilen online gekauft, während im Lebensmitteleinzelhandel aktuell noch das tradierte Kaufverhalten vorherrscht. Wird derLebensmittel-Supermarkt überleben können, oder teilen Sie die Skepsis der Experten, die ein Ende des stationären Handels vorhersehen wollen?
Nein, der stationäre LEH wird überleben, allerdings nicht in der heutigen Form. Er muss sich den „digitalen Aufgaben“ stellen und Veränderungen annehmen. Jugendliche, die Konsumenten von morgen und übermorgen, wachsen mit intelligenten Endgeräten auf, und ihre gesamte Information und Kommunikation läuft über dieses Equipment. In 25 bis 30 Jahren wird keiner mehr Lebensmittel so einkaufen, wie wir das heute kennen. Die Welt morgen ist digitalisiert und wird komplett über das Internet gesteuert, dies kann man in vielen Ansätzen heute schon festmachen.
Wie muss sich der Supermarkt verändern, um den zunehmend digital affinen Kunden auch in Zukunft Argumente zu liefern, seine Einkäufe am Point of Sale zu tätigen? Reichen der Ausbau des Convenience-Angebots und ein höherer Gastronomie-Anteil aus?
Unsere gesamte, vor allem urbane Welt verändert sich rasant, und Voice-Shopping könnte eines der Zukunftsmodelle werden. Der Supermarkt benötigt neue Strategien, um überlebensfähig zu bleiben. Der Wegfall von Kassentischen und Einkaufswagen ist eine der Grundbedingungen. Bequemlichkeit für den Konsumenten durch ein Online-Check-in beim Betreten seines Marktes mittels Mini-Chip, Irisscanner, Smartphone oder Ähnliches nützt allen Beteiligten. Auch die Bezahlung wird nur noch digital stattfinden – Konsument, Hausbank, Händler und Zentralbanken sind miteinander verknüpft. Dadurch minimiert sich auch das Diebstahlrisiko. In den ländlichen Gebieten werden wir Supermärkte haben, die eine neue Destination sind und die Funktion eines Marktplatzes übernehmen. Diese zukünftigen Formate und die genauen Anbieterfirmen lassen sich zur Zeit noch nicht vorhersehen, es werden aber voraussichtlich global agierende Händler sein.
Digitale Technologien zur Verkaufsunterstützung wie Instore-Navigation per Smartphone, interaktive Touchscreens für die Kundenberatung oder Bestell-Terminals kommen auch schon in Supermärkten zum Einsatz. Werden sich diese Instore-Technologien im LEH durchsetzen? Inwieweit können sie die Ziele der Unternehmen unterstützen?
Die heutige Form der Verkaufs- und Navigationshilfen wird entfallen, da dies von Smartphones übernommen wird und Einkaufen kein reiner Versorgungskauf mehr sein wird. Waren werden dem Kunden sofort zugeordnet, wenn sie aus dem Regal genommen werden und in einen der vielen dafür vorgesehenen, im Markt verteilten „Drop off“-Scanner gelegt. In einem Zwischengeschoss wird die Ware sortiert und verpackt. Der Einkauf wird nach Hause zugestellt, oder es werden dafür bestimmte Behälter in ein autonom fahrendes Fahrzeug gesetzt.
Ingo Meckbach: Zukunftsstratege
Ingo Meckbach war viele Jahre Planungsleiter bei Linde Ladenbau (heute Inovag) und hat in dieser Funktion zahlreiche Planungs- und Beratungsprojekte für den Lebensmitteleinzelhandel durchgeführt, u. a. für die Unternehmen Edeka, Rewe, Hit Dohle, Tengelmann und die Bünting Gruppe. Zu den Schwerpunkten seiner jetzigen Tätigkeit als selbstständiger Berater zählt die Entwicklung von Zukunftsmodellen für den LEH.
Amazon Go experimentiert in Seattle mit dem kassenlosen Supermarkt. Bis zu welchem Grad lassen sich Prozesse in einem realen Supermarkt automatisieren? Wie könnte der Einkauf in einem Supermarkt aus Sicht des Kunden künftig aussehen?
Dazu könnte zum Beispiel ein hauseigener intelligenter persönlicher Assistent zählen. Hinzu kommen „Spaßfaktoren“ wie Kinos, Gastronomie, Kinder-Unterhaltung, Fitnessstudios oder Gaming-Cafés. Denkbar ist auch ein virtueller Besuch meiner Einkaufsstätte, in der man mittels VR-Technik Waren vorbestellt und diese dann nur noch verbunden mit anderen Aktivitäten abholt, somit entfällt eine Zeitabhängigkeit.
Wie werden sich die Bezahlsysteme im Lebensmitteleinzelhandel entwickeln? Hat Bargeld überhaupt noch eine Zukunft?
Nein, es wird meiner Ansicht nach in Zukunft kein Bargeld mehr geben. Geld ist zu teuer in der Herstellung, Sicherung, Lagerung und im Transport. Zahlungsmittel werden nur noch digital und sicher gehandelt werden, wie es heute in nordischen Ländern wie Island oder Schweden bereits praktiziert wird. Durch den stationären Onlineeinkauf entsteht ein weiterer Vorteil für den Zentraleinkauf und die Lebensmittelindustrie, die die Entnahme der Waren ebenfalls registriert und Produktions- und Lieferketten entsprechend steuern kann.
Wie wird sich die Ladeneinrichtung im Supermarkt 2050 verändern? Werden Regale und Verkaufsgondeln dannnoch am Reißbrett oder per CAD-System geplant?
Nein, auch dies wird durch einen anderen technischen Standard gesteuert und digital erfolgen. Die Märkte erhalten eine Einrichtung, die wahrscheinlich aus dem 3-D-Drucker kommt. Das erlaubt Strukturen, die wir so noch nicht kennen und ein dem Zeitgeist entsprechendes Ambiente. Energie wird aus biologischen Solarzellen gewonnen werden, die als Beschichtung auf Glasflächen oder an der Fassade einfach durch Farbe aufgebracht werden.
Welche Aufgaben werden Roboter im Supermarkt 2050 übernehmen? Wo sehen Sie hier die Potenziale und wo die Grenzen?
Roboter werden Lagerarbeiten und das Säubern und Einräumen von Waren in den Märkten intelligent übernehmen. Personal steht ausschließlich dem Kunden zur Beratung etwa bei Frischwaren und Fragen zur technischen Handhabung zur Verfügung. Grundsätzlich wird ein wesentlicher Erfolgsfaktor für den stationären Lebensmitteleinzelhandel der Zukunft sein, dass er die Beziehung zwischen veränderten Arbeits- undGesellschaftsstrukturen und verändertem Lebensmitteleinkaufsverhalten erkennt. Grenzen sehe ich da keine, eher Potenziale für weitere Entwicklungsstufen.
Das Interview führte Winfried Lambertz.
Grafiken (2): Inovag
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