Waren werden vom Lager in die Läden transportiert, auf den Verkaufsflächen in den Filialen umsortiert, oder es entstehen Störfaktoren für eine Inventur, beispielsweise wenn vergessen wird, eine vom Kunden retournierte Ware neu zu registrieren. Diese ständigen Warenbewegungen erhöhen das Risiko von Inventurdifferenzen oder nicht registrierten Artikelverschiebungen.
„Um einen permanenten Überblick über den Warenbestand zu besitzen, müsste der Handel regelmäßig Inventuren durchführen“, sagt Uwe Quiede, RFID-Experte für Industrie und Handel mit Schwerpunkt Bekleidung beim Beratungsunternehmen Tailorit in Düsseldorf. Denn nur so könnten die Unternehmen zuverlässig feststellen, wo sich welche Waren gerade befinden und ob Ware abhanden gekommen ist – um dann gegebenenfalls fehlende Ware nachzubestellen oder der Diebstahlversicherung zu melden.
Eine manuelle Inventur gilt als kostenintensiv und zeitaufwändig. Sie bedarf einer guten Vorbereitung, erfordert zusätzliches Personal und unter Umständen das Schließen von Filialen oder eine Unterbrechung der Warenversorgung durch die Logistik. Daher setzen immer mehr Handelsunternehmen auf eine RFID-unterstützte Inventur. Sie gibt bei einer möglichst regelmäßigen Erfassung möglichst zuverlässig einen aktuellen Überblick über den Warenbestand.
Tory macht Inventur
Das Auslesen der Tags geschieht heute in der Regel noch per Hand oder mithilfe von sogenannten Overhead-Readern. Das ist jedoch tendenziell kostspielig bzw. weist eine bestimmte Fehlerquote auf. Das Modehaus Adler entschied sich daher vor rund zwei Jahren als erstes Handelsunternehmen dafür, bei der RFID-Datenerfassung einen Roboter einzusetzen. Tory, den der Roboterspezialist Metralabs entwickelt hat, ist seit Februar 2016 im Adler-Modemarkt in Erfurt täglich im Einsatz. Er bewegt sich selbstständig durch das Geschäft und erfasst dabei die Warenbestände vollautomatisch mit einer Leserate von bis zu 50.000 RFID-Etiketten pro Tag.
Der Roboter navigiert mithilfe von Laser- und Kamerasensoren durch den Raum und scannt auf seinem Weg die RFID-Tags an den Waren. Die Erkennungsrate liegt laut Hersteller bei 98,5 Prozent. Tory speichert die Daten und bucht diese später in das Warenwirtschaftssystem ein. Nach getaner Arbeit kehrt der Roboter selbstständig zu seiner Ladestation zurück.
Zurzeit muss noch jedes Unternehmen ein individuell abgestimmtes Verfahren festgelegen.
Holger WildgrubeDas Modehaus ist mit der Arbeit des Serviceroboters zufrieden. Im Laufe des vergangenen Jahres hat Adler den Einsatz von Inventurrobotern auf weitere Filialen ausgeweitet. Die Serviceautomaten sind nun auch in Adler Modemärkten in Haibach, Rüsselsheim, Mutterstadt und Limburg unterwegs. „Mit Hilfe der Roboter erreichen wir eine höhere Bestandsgenauigkeit und damit die Möglichkeit, fehlende Artikel schnell nachzuräumen oder zeitnah zu bestellen“, lautet die Bewertung von Ansgar Gümbel von Adler Modemärkte.
Da der Roboter nicht nur die Anzahl der Waren, sondern auch den Ort erfasst, an dem sich diese befinden, kann Tory in den Filialen auch als Shopping-Assistent eingesetzt werden, die Kunden zu gesuchten Artikeln führen und sie beim Einkauf „beraten“. „Der Roboter ersetzt auch bei diesen Aufgaben keine Mitarbeiter, sondern entlastet sie von zeitintensiven Aufgaben, was eine effiziente Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine ermöglicht“, so die Aussage von Ansgar Gümbel.
Prozess- und Prüfstandards
Wenn nun die jederzeit aktuellen Daten über den Warenbestand einmal vorliegen, wäre es aus Händlersicht sinnvoll, wenn diese auch von der Steuerprüfung anerkannt würden. „Das ist aber bisher nicht der Fall, weil es noch keine verbindlichen Regeln gibt, die eine korrekte Warenerfassung garantieren“, sagt Holger Wildgrube, Wirtschaftsprüfer beim Beratungsunternehmen KPMG in Köln. Auch eine RFID-Inventur birgt Risiken einer fehlerhaften Zählung. So könnten Tags erfasst werden, die nach dem Verkauf der Ware in Regalen oder Schubladen liegen und nicht deaktiviert wurden, oder es können Fehler bei der Datenübertragung ins Warenwirtschaftssystem auftreten. „Daher muss zurzeit noch jedes Unternehmen mit dem zuständigen Wirtschaftsprüfer ein individuell abgestimmtes Verfahren festlegen“, so Wildgrube.
Einheitliches Verfahren
KPMG und Tailorit wollen das gemeinsam mit dem EHI ändern. Es sollen Regeln fürein einheitliches Verfahren in Form von Prozess- und Prüfungsstandards entwickelt werden, die als Basis für eine allgemeine steuerliche und handelsrechtliche Anerkennung von RFID-Inventuren dienen. Dabei geht es vor allem um allgemeingültige Regeln für eine RFID-Inventur, die eine Vollständigkeit und Richtigkeit der Bestandsaufnahme sicherstellen, erläutert Wildgrube. „Diese Regeln sollen den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Inventuraufnahme entsprechenund für alle Händler verbindlich sein.“
„Ziel ist es, eine nachvollziehbare Lösung für jedes Risiko zu entwickeln“, sagt der KPMG-Berater. Diese soll sicherstellen, dass die Waren komplett erfasst und die Daten korrekt übertragen werden. Zudem muss die Richtigkeit der Bestandsaufnahme gewährleistet werden, beispielsweise dass Waren nicht fehlerhaft etikettiert wurden und dass keine Tags ohne Ware erfasst wurden. Die Initiatoren rechnen damit, dass in etwa zwei Jahren eine allgemeinverbindliche Richtlinie vorliegt, die dann auch vom Bund der Wirtschaftsprüfer anerkannt ist.
Foto: Adler Modemärkte
Weitere Informationen: redaktion@ehi.org