Hart, hochwertig, geheimnisvoll – mit seiner einzigartigen Ästhetik, seiner kühlen Haptik und luxuriösen Anmutung nahm Marmor schon immer eine Sonderstellung unter den Natursteinen ein. Gattungstechnisch gehören Marmore zu den Weichgesteinen, deren Härtegrad man mit dem von Glas vergleichen kann. Aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte zählen sie zu den sogenannten Umwandlungsgesteinen: Wenn Kalkstein durch tektonische Verschiebungen in tiefere Schichten der Erdkruste geschoben wurde, provozierte der dadurch entstehende große Druck und die dort herrschende Hitze eine Gesteinsschmelze – der Beginn der Metamorphose von Kalkstein zu Marmor.
Die charakteristische Zeichnung des Gesteins entstand durch die Beimischung weiterer Mineralien im Verlauf dieses langwierigen Prozesses. Abgebaut wird Marmor in Blöcken, die anschließend in Scheiben geschnitten werden – und jeder Block birgt quasi ein Geheimnis. „Es ist ein wirkliches Erlebnis, wenn man Marmor blockweise kauft“, sagt Philipp Beck, Architekt und Geschäftsführer der Agentur für ganzheitliche Gestaltung Atelier 522, „denn man weiß nie, was zum Vorschein kommt, wenn man einen Block aufschneidet.“ Schließlich ist „jeder Stein einzigartig“, findet auch Angela Kreutz, Sprecherin von Blocher Blocher Partners, „die ‚Marmorierung’ ist so individuell wie ein Fingerabdruck“.
Trotz seiner außergewöhnlichen Eigenschaften stand Marmor im Ladenbau lange nicht auf der Agenda. „Vor zehn Jahren noch war die Verwendung von Marmor in einem normalen Projekt tabu – allein schon aus Kostengründen“, sagt Bernhard Heiden, Creative Director der Schweizer Retail Design Agentur Interstore Design. Doch „gerade erlebt er ein Comeback“, sagt Simone Ecsedy, Storedesignerin und Projektmanagerin bei der Moysig Retail GmbH. „Nachdem das Marmor-Thema vor zwei, drei Jahren von der Möbelbranche wieder aufgegriffen wurde, ist es nun im Ladenbau richtig angekommen“, bestätigt Philipp Beck.
Über weitläufige Marmorböden werden die Kunden in den Stores demnächst dennoch nicht schreiten, denn „während man Marmor früher vorwiegend für Böden eingesetzt hat, verwendet man ihn heute nicht mehr für derart große Flächen, sondern an ganz vielen Orten, die im Zusammenhang mit einem Nutzen stehen, nämlich für Objekte, Möbelverkleidungen und –fronten, für Tische und Bedientresen oder auch für kleinere Details.“ Auch Simone Ecsedy sieht Marmor als „Highlight oder an Möbeln“, verwendet auf eine Weise, „an die man vor drei Jahren noch gar nicht gedacht hätte“.
Brüche und Kontraste erzeugen
Auch die Art, wie Marmor in Storekonzepten mit anderen Materialien kombiniert wird, hat sich grundlegend geändert. Statt um Harmonie geht es darum, starke Kontraste zu erzeugen, Brüche zu provozieren. „Wenn man Marmor so kombiniert, dass man denkt, so geht es eigentlich nicht“, sagt Interstore-Mann Heiden, „dann ist es wirklich neu.“ Marmor „mit einfachen, natürlichen Materialien“ zu konfrontieren, das ist für ihn eine „extrem gute Art der Kombination“. Auch für Philipp Beck ist es gerade „die Kunst, nicht das zu tun, was alle tun“, Marmor müsse stattdessen „auf neue Art komponiert werden“. Und für Blocher ergeben sich „spannende Konzepte aus neuen und ungewöhnlichen Kombinationen“.
Neu ist auch die Farbigkeit, in der Marmor jetzt auftritt: „Wir stellen fest, dass die Marmor-Thematik in einer extrem großen Farbpalette durchgespielt wird“, sagt Bernhard Heiden: in grünlichen Nuancen, Brauntönen oder Rosa, „und selbst bei Weiß gibt es unzählige Schattierungen“. Übrigens ist es die geographische Herkunft, die über die Farbnuance entscheidet. Und obwohl Marmor laut Außenhandelsstatistik 2015 des Statistischen Bundesamtes derzeit aus rund 27 verschiedenen Nationen nach Deutschland importiert wird, stammt der im Storedesign verwendete Marmor aufgrund seiner Qualität und Ästhetik nach wie vor häufig aus verschiedenen Regionen Italiens. Nicht nur eine subtile Farbnuance, auch die Oberflächenbearbeitung – geschliffen, matt, rau oder glänzend und zum Schutz oft mit speziellen Lasuren versehen – oder die individuelle Zeichnung von Marmor kann neue gestalterische Ansätze hervorbringen: „Indem man die Adern und Linien auf Marmorplatten gegeneinander setzt, kann man förmlich Bilder gestalten“, sagt Philipp Beck.
Möglich wird der innovative Umgang mit Marmor durch Lasertechnik: Damit können individuelle Formen und sehr große Formate, vor allem aber extrem dünne Platten geschnitten werden, mit denen man Möbel und Objekte verkleiden kann; wenn die Kantenverarbeitung perfekt ist, sei kein Unterschied zum massiven Stein erkennbar. Bernhard Heiden: „Heute sind Platten von bis zu einem mal zwei Meter Größe auf dem Markt, die manchmal nur 4 mm dünn sind.“ Der Nebeneffekt: „Dadurch können je nach Verwendung Kostenersparnisse um bis zu 30 Prozent erzielt werden“. Das Marmor-Monopol der Luxusbranchen dürfte damit gefallen sein. „Marmor gleich Luxus – diese Auffassung gehört der Vergangenheit an“, sagt Bernhard Heiden. „Wenn man richtig damit umgeht, steht Marmor stattdessen für Modernität und Natürlichkeit.“
Fotos (4): Blocher Blocher Partners (1), Unger (2), Interstore Design (1)
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