Beim Stichwort Stoffgeschäft denkt man schnell an dunkle Läden, die Stoffreste und Nähzutaten horten, an fliegende Händlern auf Wochenmärkten und an Fachgeschäfte mit Patina, Schneidertradition und mittelalterlicher Stammkundschaft. Über zwei Jahrzehnte lang schrumpfte die Zahl der Stoffgeschäfte. Kleidung und Mode wurden fertig gekauft. Dass das Nähen die Flaute überwunden hat und in den letzten Jahren im Zuge des Do-it-yourself-Trends zum beliebten Hobby einer jüngeren Generation geworden ist, spiegelte sich im Onlinehandel wider, stieß im stationären Einzelhandel aber bisher kaum auf Resonanz.
Das Konzept Stoff und Stil füllt diese Lücke. Hier heißen die Nähkurse Workshops, und die hausmütterlichen „Kurzwaren“ rangieren unter „Zubehör“. Convenience wird großgeschrieben. Stoff und Stil ankert seit drei Jahren im deutschen Markt. Eigentlich eher für das Fachmarkt-Umfeld geplant, eröffnete im Zentrum von Köln auf 1.400 qm im Herbst letzten Jahres die erste innerstädtische Filiale. „DIY ist keine Trenderscheinung, sondern ein ernstzunehmender Wirtschaftszweig“, ist Carsten Stöhr, Country Manager von Stoff und Stil überzeugt. Stöhr plant weitere Filialen in München und Frankfurt am Main und steht im Dortmunder Indu-Park kurz vor Abschluss des Mietvertrags.
Mit Einkaufswagen
Das Filialkonzept überträgt viele Eigenschaften modernen Einzelhandels auf die Halbfertigprodukte Stoff, Textil und Meterware. Das fängt schon bei den Einkaufswagen an, die der Kunde wie im Super- oder Baumarkt durch die Gänge schiebt – ein Novum im Stoffhandel, wo das Tragen der oft schwergewichtigen Stoffrollen vom Regal zum Schneidetisch und zurück zu den ungeliebten Aufgaben des Personals gehörte. Die Stoffrollen ruhen in schlichten, 1,60 m hohen Steckregalen eines dänischen Stahlregal-Lieferanten, sortiert nach Themen und Farben. Die Pappröhre, auf die die Meterware gewickelt ist, enthält ein Etikett mit Barcode und Artikeldaten wie Materialzusammensetzung, Pflegehinweisen und Preis.
Nach Auswahl ihrer Stoffe fährt die Kundin den Wagen an einen der zentral positionierten Schneidetische. Diese sind so groß, dass die Meterware für den Schnitt hier flach und in voller Stoffbreite aufgelegt werden kann. Die Tische sind hydraulisch höhenverstellbar, um ergonomisches Arbeiten zu gewährleisten. Nach dem individuellen Zuschnitt scannt die Mitarbeiterin den EAN-Code an der Rolle und erhält ein selbstklebendes Preisetikett, mit dem sie den zusammengefalteten Stoffcoupon auszeichnet. Bezahlt wird der Einkauf an zentralen Scannerkassen im Eingangsbereich. „Und wir bzw. die Zentrale wissen, dass wir zwei Meter weniger auf dieser und vier Meter weniger auf jener Stoffrolle haben“, hebt Stöhr das Warenwirtschaftssystem hervor. Bei rund 4.000 Stoffen, insgesamt 22 Filialen plus Webshop und saisonalen Sortimentswechseln ist die manuelle Warenwirtschaft, wie sie im Stoffeinzelhandel noch verbreitet ist, kein praktikables System.
Mit seiner Logistik und Warenbeschaffung tritt Stoff und Stil in die Fußstapfen einstiger skandinavischer Pioniere wie H&M oder Ikea und reformiert den Stoffhandel, dem vertikale Geschäftsmodelle und Systemlieferanten bisher weitgehend fremd waren. Vielfach bezog der klassische Stoffeinzelhandel die Metragen zu großen Teilen aus den Produktions-Überhängen und Lagerbeständen der Textil- und Fashion-Industrie. Die Geschichte von Stoff und Stil begann ähnlich, mit „Peter’s Resthal“ im dänischen Herning in den 80ern. Heute jedoch bezeichnet sich das immer noch familiengeführte als Design-Unternehmen, kreiert selber und beansprucht für sich, echte Trends zu setzen. Auf der Basis von Abverkaufsdaten und allgemeiner Trendbeobachtung entwickelt ein Team von Designern neue Stoff- und Modethemen für die kommende Saison. Die Druck-, Web- und Wirkware wird bei den Lieferanten zum Teil exklusiv produziert, zum Teil zugekauft. Fokussiert wird dabei nicht nur der Modebereich, auch die Bereiche „Sport“, „Wohndesign“ und „Kind“, ebenso wie der Bereich GOTS-zertifizierter Öko-Stoffe, die besonders für Kinderkleidung beliebt sind, wie Stöhr berichtet.
Deko-Inseln
Die kreative Inspiration steht trotz der schlichten Ausstattung des Stores im Vordergrund. Holzhäuschen schwedischen Stils, sogenannte Deco-Houses, unterbrechen die Regalmeter mit Wohn-Szenerien und Stimmungsbildern. Auch die Deko-Inseln im Raum und auf den Regalen sollen die Phantasie der Kundin in Schwung halten. Auf der Website werden neben Anleitungen, Tricks und Kniffen permanent neue Inspirationen und Trends gezeigt.
Neben den Stoffen im Kerngeschäft führt Stoff und Stil ein umfangreiches Sortiment an praktischem und kreativem Nähzubehör, von der Schneiderpuppe über die Sitzpuff-Füllung bis zu Seidenschleifen, Wolle und Garnen, Bastelzubehör sowie einen Gardinenservice. Auch Nähmaschinen werden verkauft. Besonderes Augenmerk gilt der separaten Abteilung fertiger Schnittmuster, die mit geplotteten Vliesvorlagen die bisherigen, immer etwas umständlichen Systeme, Schnittmuster auf Stoffe zu übertragen, wesentlich vereinfachen. Die Schnittmuster decken Kleidermodelle für Kinder-, Damen und Herren ab sowie auch wieder vielerlei Wohnaccessoires.
Den Versandhandel betreibt Stoff und Stil ebenfalls seit den 80er-Jahren – bis heute begleitet von einem saisonalen Katalog, der wie ein Modeheft anmutet. Der Webshop verzeichnete laut Stöhr in den letzten Jahren steigende Nachfrage aus Deutschland, wodurch der Anreiz entstand, hier Läden zu eröffnen. „Junge Mütter mit Kindergartenkindern sind sehr gut vernetzt“, erläutert Stöhr. Und diese jungen Mütter sind eine wichtige Zielgruppe für Stoff und Stil. Daher wird dem Kind mit kindlichen Stoffmustern, Schnitten für Kinderkleidung u.Ä. vergleichsweise breiter Raum gegeben. Breiten Bewegungsspielraum bieten die kinderwagenfreundlichen Gänge zwischen den Stoffregalen, und ein geräumiger Sitzbereich im hinteren Bereich des Ladens, in dem Kinder gestillt, gewickelt und laufen gelassen werden können, lädt zu Plausch und Pause ein. Daneben befindet sich auch ein Wartebereich für den begleitenden Mann, ausgestattet mit der entsprechenden „fachfremden“ Lektüre.
Fotos (2): Stoff und Stil
Weitere Informationen: www.stoffundstil.de
Stoff und Stil
Gegründet: 1980 in Herning, Dänemark
Sortiment: Meterware, Schnittmuster, Nähzubehör, Wolle, Hobby
Filiale in Köln: 1.400 qm
Adresse: Dumont Carré, Breite Straße
Filialen Deutschland: 4
Filialen international: 22 (Skandinavien und Deutschland)