Warum nur verkaufen, wenn man im Laden die Produkte auch gleich herstellen kann- und zwar kundenindividuell und personalisiert? Mit dieser Frage beschäftigen sich immer mehr Retailer. So präsentierte Adidas kürzlich seine „Speedfactory“, mit der demnächst Laufschuhe direkt im Geschäft nach Kundenwünschen maßangefertigt werden sollen. Die Idee: Der Kunde läuft in der Filiale ein paar Schritte auf einem Laufband und bekommt im Handumdrehen aus dem 3-D-Drucker einen neuen Laufschuh nach seinem individuellen Laufmuster und einer Abbildung seines Fußabdrucks. Dies geschieht mit dem Motto: „Erschaffe Deinen individuellen Laufschuh“ vor den Augen der Kunden, die ihre neuen Schuhe wenig später an der Kasse in Empfang nehmen können. Ein erstes Pilotprojekt mit 500 Paar Schuhen entsteht gerade in Zusammenarbeit mit der Materialise GmbH, einem Pionier und Spezialisten für 3-D-Druck.
„Für Konsumenten ist das ein völlig neuartiges Markenerlebnis“, glaubt Gerd Manz, Technologie-/Innovations-Chef bei Adidas. „Was auch immer ein Kunde wünscht, wird vor Ort und speziell für ihn produziert.“ Damit kann sich seiner Meinung nach auch der Ansatz, der bisher im Einzelhandel verfolgt wird, komplett ändern. Bestand dieser bisher darin, im Laden Artikel abzusetzen, die meist lange im Voraus geordert waren, will man mit den neuen Adidas-„Speedfactories“ demnächst nur noch das produzieren, was hier und jetzt nachgefragt wird. „So können wir künftig viel näher an unseren Konsumenten sein und vor Ort in unseren Absatzmärkten produzieren“, so Herbert Hainer, Vorstandsvorsitzender der Adidas Gruppe. Denn die heutige zentralisierte Fertigung abseits der Märkte hat wesentliche Nachteile. Allein der Schiffstransport des Produkts von Fernost nach Europa benötigt mindestens 40 Tage. Modetrends können hier inzwischen längst überholt sein oder Kundenwünsche sich grundlegend geändert haben.
Urban Manufacturing
Im angelsächsischen Raum hat sich diese Entwicklung unter der Bezeichnung Urban Manufacturing schon weiter etabliert: Der Ohrhörer-Spezialist Snugs testet in London in einem Pilotprojekt zum Beispiel, wie sich hochwertige, perfekt maßgeschneiderte In-Ear-Kopfhörer durch 3-D-Scannen der Ohren und anschließenden 3-D-Druck im Laden produzieren lassen. Gleiches soll auch für passgenaue Brillengestelle passend zur Gesichts- und Nasenform funktionieren, die der Kunde künftig beim Optiker nebenan gleich mitnehmen kann. Auf der Optikmesse Opti in München stellte das hessische Unternehmen Framelapp kürzlich den dazu nötigen Kopf-Scanner vor, der mit den Daten von Nase und Gesicht einen 3-D-Drucker speist. „Der 3-D-Druck hat keinen Exoten-Status mehr und wird seinen Platz in der Filiale finden“, glaubt Ingo Rütten vom Zentralverband der Augenoptiker. Noch zuversichtlicher als Rütten äußert sich Hendrik Wieburg, Geschäftsführer des gleichnamigen Optikergeschäftes in Taunusstein, der bereits mehrere Tausend Brillen pro Jahr im 3-D-Druck herstellt. „Der 3-D-Druck wird die Optikbranche über kurz oder lang revolutionieren“, ist er überzeugt.
Dies passiert auch woanders im Medizinbereich, und zwar in den Apotheken. Das US-Pharmazieunternehmen Aprecia bringt jetzt Pillen auf den Markt, die sich mit einem 3-D-Drucker herstellen lassen. Bei dem vom MIT Massachusetts Institute of Technology entwickelten Verfahren wird das Medikament in Pulverform mittels 3-D-Drucker schichtweise aufgebacht und die Schichten mit Wasser verklebt. Vorteil: Die Wirkstoffmenge der Pillen lässt sich so in der Apotheke individuell für einen Patienten dosieren.
Schon seit zwei Jahren bietet der Bonner Freizeitmarkt Knauber den nach eigenen Angaben ersten 3-D-Druckservice im deutschen Einzelhandel an. Nach dem Motto: „Reparieren statt wegwerfen“ können Kunden Produkte oder Ersatzteile wie zum Beispiel iPhone-Hüllen oder Stifthüllen im Knauber-Markt in Bonn-Endenich im 3-D-Druck fertigen lassen – einfach beim Anbieter die passende Druckvorlage herunterladen oder das defekte Stück einscannen lassen. Auch individueller Modeschmuck oder Ringe entstehen so direkt vor Ort.
Fruchtgummi nach Maß
Eine ideale Geschenkidee sind auch Fruchtgummis, wie sie Katjes unter dem Markennamen „Magic Candy Factory by Katjes“ nach Kundenwünschen aus dem 3-D-Drucker herstellt, während die Kunden im Laden zuschauen. Diese können dabei ihre eigenen Formen, Geschmacksrichtungen und Farben bestimmen. Die Drucker-Patronen beinhalten einen speziellen, schnelltrocknenden Weingummi-Grundstoff. Der Start erfolgte im Pilot-Shop in Berlin, laut Katjes sollen die Mini-Süßigkeitsfabriken vielleicht einmal in großen Kaufhäusern stehen.
Fotos (4): Katjes (1), Pixabay (1), Snugs (1), Adidas (1)
Converse: Sneaker-Paradies mit Customize-Station
Mit dem Umbau ihres Standorts im New Yorker Stadteil Soho entstand der weltweit größte Store der Turnschuh-Marke Converse. Eingerichtet und inszeniert wurde die fast 1.000 qm große Fläche auf zwei Etagen als „Ort für Retail-Kreativität“.
Die sogenannten Chucks, die Canvas-Sportschuhe der US-Firma Converse sind seit Anfang des letzten Jahrhunderts im Markt und werden in immer neuem Design, aber nahezu unveränderter Form weltweit millionenfach verkauft. In dem Flagshipstore in Soho steht das persönliche Gestalten der Kultschuhe im Vordergrund, Stichwort Customizing. Am langen Thekentisch, ausgestattet mit iPad an jedem Sitzplatz, kann der Kunde hier Hand anlegen und sich sein individuelles Chucks-Design am Bildschirm mit Ösen, Farbe und Applikation verzieren. Der selbst entworfene Schuh wird sodann aus einem Rohmodell am selben Tag angefertigt. „Blank Canvas“ ist der Titel dieser Dauereinrichtung. Zusätzlich plant das Unternehmen, hier ganze Workshops zum Thema zu veranstalten, die die Kunden einladen und anleiten, den Schuh komplett zu gestalten, angefangen bei Silhouette und Materialwahl. Dabei führt ein Sneaker-Designer, der „The Maestro“ genannt wird, die Gruppen durch eine jeweils einstündige „Hands-on-Session“.