Bei schwerem Diebstahl handelt es sich grundsätzlich um Taten mit höherer krimineller Energie, weil zum Beispiel Warensicherungen überwunden werden. Hinzu kommt eine deutlich spürbare Zunahme der organisierten Bandenkriminalität, die zwar häufig erkannt, aber in den seltensten Fällen als solche angezeigt werden kann.
Im Jahresvergleich 2014 zu 2013 sind die Inventurdifferenzen bei den an der EHI-Erhebung teilnehmenden Unternehmen zwar geringfügig gesunken, in branchengewichteter Hochrechnung für den gesamten deutschen Einzelhandel jedoch nahezu unverändert geblieben. Es gab leicht unterschiedliche Entwicklungen in einzelnen Branchen, gravierende Veränderungen sind per saldo nicht eingetreten.
Inventurverluste: 3,9 Mrd. Euro
Nach wie vor schmälert eine durchschnittliche Inventurdifferenz von 0,61 Prozent – bewertet zu Einkaufspreisen in Prozent vom Nettoumsatz – die Renditen im Einzelhandel. Bewertet zu Verkaufspreisen in Relation zum Bruttoumsatz entspricht dies in branchengewichteter Hochrechnung einem Wert von durchschnittlich exakt 1 Prozent des Umsatzes.
Im gesamten Einzelhandel summieren sich die zu Verkaufspreisen bewerteten Inventurdifferenzen auf 3,9 Mrd. Euro. Nach Einschätzung der Handelsexperten das EHI sind auf Ladendiebstähle durch Kunden rund 2,1 Mrd. Euro zurückzuführen. Den eigenen Mitarbeitern werden fast 900 Mio. Euro angelastet, und sowohl Lieferanten als auch Servicekräften werden etwas mehr als 300 Mio. Euro an Warenverlusten im Jahr zugerechnet. Statistisch gesehen bedient sich jeder Bundesbürger jährlich an Waren im Wert von 26 Euro im Einzelhandel, ohne zu bezahlen. Auf den Lebensmittelhandel projiziert bedeutet dies, dass rund jeder 200. Einkaufswagen unbezahlt die Kasse passiert. Jährlich investiert der Handel rund 1,3 Mrd. Euro in Präventiv- und Sicherungsmaßnahmen, um seine Waren vor Diebstählen zu schützen. Die Gesamtaufwendungen zum Thema Inventur- differenzen und deren Vermeidung betragen damit jährlich rund 5,2 Mrd. Euro.
An der aktuellen Untersuchung beteiligten sich 110 Unternehmen mit insgesamt 20.766 Verkaufsstellen, die einen Gesamtumsatz von rund 78,5 Mrd. Euro erwirtschafteten. Die durchschnittliche Verkaufsfläche der beteiligten Geschäfte beträgt 1.210 qm.
Branchenentwicklungen
Der überwiegenden betrieblichen Praxis folgend wurden die Erhebungen – bewertet zu Nettoeinkaufspreisen in Relation zum Nettoumsatz (= Bruttoumsatz ohne Mehrwertsteuer) – erfasst. Das durchschnittliche Niveau der Inventurdifferenzen 2014 hat sich – bei gleicher Grundgesamtheit – mit 0,61 Prozent vom Nettoumsatz gegenüber 0,63 Prozent in 2013 leicht verbessert. Als Orientierung können folgende Mittelwerte angegeben werden, obwohl ein direkter Vergleich von Inventurdifferenzen verschiedener Unternehmen nur bedingt möglich und sinnvoll ist: Im Lebensmittelhandel liegen die durchschnittlichen Inventurdifferenzen der beteiligten Unternehmen bei 0,51 Prozent. Während bei Supermärkten bis 2.500 qm überwiegend eine Verbesserung mit nunmehr im Schnitt 0,49 Prozent eingetreten ist, haben SB-Warenhäuser etwas höhere durchschnittliche Inventurverluste mit Werten von 0,61 Prozent gegenüber 0,55 Prozent in 2013 festgestellt. Große Supermärkte bis 5.000 qm liegen mit 0,51 Prozent vom Nettoumsatz ebenfalls leicht unter dem Vorjahresniveau. Die erstmals auswertbaren Getränkefachmärkte erleiden im Branchenvergleich mit 0,22 Prozent die niedrigsten Verluste.
Drogeriemärkte weichen mit durchschnittlich 0,78 Prozent nur geringfügig von ihrem Vorjahresniveau ab, ebenso wie die beteiligten Baumarktunternehmen mit Inventurdifferenzen von nunmehr durchschnittlich 0,62 Prozent. Im gesamten Bekleidungshandel sind die durchschnittlichen Inventurdifferenzen mit 0,57 Prozent ebenfalls fast unverändert. Während Bekleidungsfachgeschäfte (0,64 Prozent), Textilfachmärkte (0,54 Prozent) und Schuhfachgeschäfte (0,44 Prozent) ihre Ergebnisse verbessern konnten, hatten die Textilkaufhäuser einschließlich der Warenhausbetreiber (0,54 Prozent) etwas höhere Verluste zu verzeichnen. Die durchschnittlichen Inventurdifferenzen der beteiligten Möbelhäuser unterschiedlichster Sortimentsausrichtung haben sich auf 0,39 Prozent vom Nettoumsatz erhöht.
2014 sind die angezeigten Ladendiebstähle laut polizeilicher Kriminalstatistik seit Jahren erstmals wieder um 2,6 Prozent angestiegen auf insgesamt 365.373 Fälle. Der stetige Rückgang angezeigter Ladendiebstähle in den letzten Jahren spiegelte aber kaum die tatsächlichen Verhältnisse wider. Die Einschätzungen des Handels zur Kriminalitätslage standen und stehen im Widerspruch zur Statistik. Durch die hohe Dunkelziffer von über 98 Prozent besitzt die Statistik nur eine eingeschränkte Aussagefähigkeit. Aus dem durchschnittlichen Schaden der angezeigten Diebstähle und dem tatsächlichen Schaden im Handel ergibt sich, dass täglich über 85.000 Ladendiebstähle mit je einem Warenwert von rund 80 Euro unentdeckt bleiben.
Steigende organisierte Bandenkriminalität
Viel Sorge bereitet dem Handel in diesem Zusammenhang vor allem die Zunahme organisierter Kriminalität. Das Bundeskriminalamt beziffert allein den Schaden durch georgische Banden auf 250 Mio. Euro pro Jahr. Zusammengerechnet mit Bandendiebstahl anderer Herkunft und gewerbsmäßigem Diebstahl dürfte der Schaden durch „professionelle Akteure“ mittlerweile 500 Mio. Euro übersteigen, was wertmäßig also einem Viertel aller Ladendiebstähle entspricht. Oftmals werden diese Täter nur als einfache Ladendiebe erkannt und behandelt.
Handel investiert weiter in Sicherheit
Im Durchschnitt aller Branchen gibt der Handel etwas mehr als 0,3 Prozent vom Umsatz für Sicherheitsmaßnahmen aus. Die Ausweitung der Kameraüberwachung liegt aktuell weiter im Trend. Die ständige Schulung und Sensibilisierung des Personals gelten weiterhin als wichtige Präventionsmaßnahmen. Warenwirtschaftliche Datenanalysen sowie Bondatenanalysen zur Erkennung von diebstahlgefährdeten Artikeln und Schwachstellen sind in den meisten Unternehmen schon ausgereift und etabliert. Testkäufe finden derzeit wieder häufige Anwendung, in der Regel verbunden mit anschließenden Mitarbeiterschulungen.
Das in der Selbsteinschätzung der Handelsunternehmen „akzeptable“ Niveau der Inventurdifferenzen stellt keinen Anlass dar, Investitionen und Aufwendungen für Präventiv-, Kontroll- und Sicherheitsmaßnahmen zu vernachlässigen. Knapp drei Viertel der Unternehmen halten 2015 ihr Budget für Präventions- und Sicherungsmaßnahmen konstant. Das Bedrohungspotenzial durch Kundendiebstahl und Mitarbeiterdelikte ist unverändert hoch und wird von den Unternehmen weiterhin ernst genommen.
Der Handel investiert in Prävention wie Sicherheitspersonal, Warensicherung, Videoüberwachung und Schulung des eigenen Personals – alles Maßnahmen, die durchaus abschreckende Wirkung haben. In vielen Fällen kann gut geschultes Personal durch bloße Aufmerksamkeit und gezielte Kundenansprache zumindest Diebstähle von Gelegenheitstätern reduzieren. Konterkariert werden diese Maßnahmen jedoch von Vorschlägen zur Herabstufung des Ladendiebstahls zur Ordnungswidrigkeit. Wenn die Abschreckung gesetzlicher Art weiter minimiert und Ladendiebstahl zur Bagatelle würde, könnte sich Diebstahl für die Täter richtig lohnen.
Foto: Axis
Grafiken (2): EHI-Erhebung Inventurdifferenzen 2015
Weitere Informationen: www.ehi-shop.de/de/handelsthemen/inventurdifferenzen/studie-inventurdifferenzen-2015