Im eigenen Laden spazieren gehen, obwohl es diesen noch gar nicht gibt, und das ohne Google-Brille oder Datenhelm – nur mit Blick auf das entsprechend programmierte Tablet von Wanzl kann ein Händler die Planung seines neuen Stores zwei- und dreidimensional ansehen, sich virtuell in die Szenerie hineinbegeben und darin „umherwandeln“. Die 3-D-Visualisierung in fotorealistischer Qualität ermöglicht es dem Händler, sozusagen in die Rolle seiner Kunden zu schlüpfen und aus deren Sicht den neuen Store-Entwurf aus allen möglichen Perspektiven zu begutachten und auf sich wirken zu lassen. Die Visualisierung vermittelt ihm nahezu originalgetreue Eindrücke seines zukünftigen Ladens und hilft, ein frühes Urteil zu bilden, eventuelle Schwachstellen oder Geschmacksfragen zu analysieren und rechtzeitig in der Planung zu korrigieren.

Der Anwendung zugrunde liegt ein zweidimensionaler Grundriss der Ladenfläche und darauf markierte Tracking-Punkte verteilt über die Ladenfläche. Mit dem Tablet steuert der Anwender einen beliebigen Tracking-Punkt auf dem Grundriss an, etwa den Eingangsbereich oder die Bedientheke im Store. Daraufhin öffnet sich der angeklickte Bereich als räumliche Animation, die der Anwender drehen und wenden kann.

Richtige Proportionen

Dem Projekt gingen unternehmensstrategische Fragen voraus: Wie kann man eine Planungsphase verkürzen und den Informationstransfer zwischen Planer, Berater und Handelskunde verdichten? Wie lässt sich der kreative Prozess beschleunigen? Wie können auch kleinere Handelskunden mit ihren spezifischen Bedürfnissen besser „abgeholt“ werden? Die Vordenker in der Forschungsabteilung bei Wanzl nutzten hierfür ein Augmented-Reality-System aus der Computerspiele-Welt.

Das Tool erlaubt eine virtuelle Platzierung von Einzelmöbeln oder Präsentationsmodulen auch in bestehenden Läden. Beispiel: Ein Händler denkt über die Integration eines neuen Bake-off-Bereichs nach und will sehen, wie die Bake-off-Verkaufsmöbel in seinem Laden wirken. Bisher musste er sich mit Katalogabbildungen begnügen und darauf vertrauen, dass seine Wahl tatsächlich optisch und in der Dimensionierung so passt, wie er es sich vorgestellt hat. Mit dem AR-Tool erhält er einen realistischen Eindruck des Verkaufsmöbels mit den richtigen Proportionen in der tatsächlichen Raumsituation. Auf dem Tablet sieht er das Möbel so, als stünde es schon in seinem Laden.

Mit einem Knopfdruck kann die Ausstattung des Verkaufsmöbels variiert sowie Material- und Farbvarianten verglichen werden. Freistehende Möbel lassen sich auf dem Tablet drehen bzw. dreidimensional von allen Seiten betrachten. Auch die dazugehörigen Produkte bzw. Sortimente können auf Wunsch integriert werden. Der Händler kann so die für ihn optimale Präsentationslösung selbst am Tablet definieren und „ausprobieren“.

Die Anwendung ist nicht nur für große Filialketten interessant, sondern auch für kleinere Händler. „Seit unserer Demonstration des Systems auf der EuroShop erleben wir ein großes Interesse an solchen Lösungen“, sagt Olaf Mörk, Marketing-Chef bei Wanzl. „Daher denken wir darüber nach, eine Bibliothek gängiger Produkte bzw. Shop-in-Shop-Lösungen aufzubauen.“ Die Beratung eines Ladenbau-Profis kann und will das System nicht ersetzen, betont Mörk. Jedoch kann die Beratung mit diesem Tool effizienter und strukturierter erfolgen. Weiterer Vorteil: Die virtuelle Möbelplatzierung mithilfe von AR erspart aufwändige 3-D-Visualisierungen, für die ein Raum per CAD „nachgebaut“ werden muss. Stattdessen platziert die Anwendung das gewünschte Einrichtungselement virtuell und „live“ direkt in die Ansicht des echten Ladens.

Fotos (2): Wanzl

Planung virtuell: Einsatz mit Augenmaß

Augmented Reality bei der Ladenplanung (Foto: d’Art Design)

Augmented Reality bei der Ladenplanung (Foto: d’Art Design)

Die Branche sieht’s differenziert und pragmatisch: stores+shops hörte sich um, an welchen Stellen in der Storeplanung der Einsatz von neuen technologischen Anwendungen als sinnvoll erachtet wird.

Die Begeisterung für erweiterte Realitäten (Augmented Reality) ist groß, jedoch wird das Verhältnis von Aufwand und individuellem Nutzen von Ladenbauern und Storeplanern mit Augenmaß beurteilt. „Die neuen Technologien bieten faszinierende Möglichkeiten sowohl für die Planung als auch für die Präsentation von Raumlösungen und Konstruktionsvorschlägen beim Kunden“, meint Annabell Tenbrink von Tenbrink Ladeneinrichtungen. „Wir verfolgen die Entwicklung und prüfen bei Investitionen in neue Technologien sehr genau, inwieweit diese Technik unsere Arbeit unterstützt und entlastet.“ Da Tenbrink auf die Umsetzung von Ladenbaukonzepten ausgerichtet ist und mehrheitlich Filialisten mit eigenen Marken-, CI- und Shopkonzepten zu seinen Kunden zählt, besteht in diesen Fällen weniger Bedarf, da das Konzept fertig vorgeplant ist. Sobald Tenbrink ein Designkonzept mit individuellem Mobiliar aus eigener Fertigung nutzt, wird 3-D-Technologie eingesetzt. „Durch diese Darstellung können wir dem Kunden eine Lösung bestmöglich verdeutlichen und so den Abstimmungsprozess erheblich vereinfachen und beschleunigen“, so Tenbrink.

„Durch Augmented Reality-Technologien wie Glyph, Retina-Projektionen oder Google Glasses verschmelzen reale und virtuelle Welten zu einer neuen Ebene der Informations- und Erlebnisvermittlung. Was virtuelle Räume auch so attraktiv macht: Selbst komplexe Informationen oder Inhalte können so vereinfacht, aber auch intuitiv wahrgenommen werden. Denn neue Technologien erweitern einen physischen Raum nicht nur um eine digitale Sphäre, sondern bringen auch noch eine gehörige Portion Emotion mit ins Spiel“, meint Dieter Wolff, Managing Director der D’Art Design Gruppe. „Doch technische Innovationen ersetzen keinesfalls ein gut durchdachtes Gestaltungskonzept“, gibt Wolff zu bedenken.

Auch bei Interstore Design, wo 3-D-, Bewegtbild und die Navigation durch virtuelle Räume zum Repertoire der Planung gehört, blickt man reflektiert auf die Entwicklung. Ruth Toechterle, Verantwortliche Marketing und Kommunikation: „Wir versuchen immer, je nach Kunde die richtige Sprache einzusetzen. So stellen wir durchaus auch einen starken Trend zu haptischeren Darstellungen fest. Viele bevorzugen statt der animierten und technischen Welt Handskizzen, Moodboards und echte Materialien. Auf der anderen Seite gibt es auch einige Kunden, die klare Visualisierungen bevorzugen.“