Mobile Filialbüros - worin bestehen Vorteile? | stores+shops

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Foto: Höltl

Mobile Filialbüros – worin bestehen Vorteile?

Business Intelligence-Lösungen werden mobil. Mit iPad und Smartphone holen Handelsunternehmen wie Migros Türk ihre Filialleiter aus dem Backoffice auf die Fläche. Über eine App rufen die Marktleiter alle erforderlichen Informationen über einen einzigen Kanal ab.

Produkte, Kunden, Mitarbeiter – alles, was ein Handelsunternehmen ausmacht, findet sich im Laden auf der Verkaufsfläche. Nur das Filialmanagement verbringt bisher einen Großteil seiner Zeit hinter dem PC am Büroschreibtisch. Ein Zustand, den Kerim Tatlici, IT-Manager bei Migros Türk, für sein Unternehmen ändern wollte. 2013 hat die große türkische Supermarktkette die mobile BI-Anwendung „MyOffice“ eingeführt, die rund 850 Filialleitern die Analyse umfassender Leistungs- und Verkaufszahlen auf dem iPad ermöglicht:

„MyOffice begann mit der Vision, dass der Arbeitsplatz eines Storemanagers die Verkaufsfläche sein sollte“, so Tatlici, der die vielbeachtete Lösung im November auf den EHI TechnologieTagen in Köln vorstellte. Migros Türk ist nach eigenen Angaben das erste Unternehmen weltweit, das seine Marktleiter flächendeckend mit einem mobilen Büro ausgestattet und das Backoffice konsequent abgeschafft hat. Mit dem Tablet tragen die Storemanager ihre persönliche Informations- und Kommunikationszentrale jetzt stets bei sich; der Schreibtisch steht nicht länger im separaten Büro, sondern in einer etwas ruhigeren Ecke des Marktes.

Entwickelt hat Migros Türk die wegweisende Lösung in sechs Monaten gemeinsam mit dem Spezialisten für BI-Software Microstrategy. BI-Anwendungen von Microstrategy sind bei dem türkischen Handelsunternehmen bereits seit 1998 im Einsatz. Heute beschäftigt Migros Türk in mehr als 1.000 Märkten (davon knapp 40 im Ausland) rund 19.000 Mitarbeiter und expandiert weiter. Jährlich sollen rund 120 bis 150 neue Supermärkte und zwei bis drei neue Hypermärkte dazu kommen. Nicht zuletzt aufgrund des schnell wachsenden, weitläufigen Filialnetzes lautete eine zentrale Projektanforderung im Rahmen von MyOffice, eine intuitiv zu bedienende Plattform zu entwickeln und so den Schulungsaufwand vor Ort in den Stores minimal zu halten.

Mit der BI-App rufen die türkischen Marktleiter heute alle erforderlichen Informationen gebündelt über einen einzigen Kanal ab. Ausgehend von prozessorientierten Dashboards können sie dabei einfach zu den jeweils benötigten Berichten navigieren. Als einziges Schulungsmaterial genügte bei der Einführung eine pdf-Seite mit einer Kurzbeschreibung der Navigation. Eine Stärke der App liegt in der visuellen Aufbereitung der Informationen. Mit dem Finger kann jeder Storemanager sich virtuell durch seinen Markt bewegen und sich zum Beispiel Planogramme „lebensecht“ am jeweiligen Regal anschauen oder Zusatzinformationen zu bestimmten Bereichen oder Warengruppen abrufen.

Trends und Chancen erkennen

Insgesamt wurden im Einführungsjahr 2013 mehr als 3 Millionen Reports per iPad abgerufen. Für die tägliche Arbeit nutzt jeder Storemanager bis zu 30 verschiedene Berichte. Neben Verkaufszahlen und Planogrammen zählen Inventurdifferenzen, Warenverfügbarkeits- und Bestandsanalysen, Kategorien- und Warengruppenanalysen, besondere Auswertungen für Frischeartikel, Kassenperformance oder Auswertungen über besonders gut oder schlecht abverkaufte Produkte zu den regelmäßig genutzten Reports. Unterschiedliche Farben und Symbole signalisieren auf einen Blick, wo Handlungsbedarf besteht oder wo sich Trends und Chancen abzeichnen – und zwar nahezu in Echtzeit.

Mit der App greifen alle Storemanager auf denselben zentralen Datenbestand zu und können auch selbst aktuelle lokale Informationen, beispielsweise Abverkaufs- oder Bestandsdaten, an die Zentrale senden. Obwohl keine sensiblen Daten auf dem iPad gespeichert werden, entschied sich Migros Türk zusätzlich für einen innovativen Sicherheitsansatz: Jedes iPad kann nur innerhalb seiner lokalen Mobilfunkzelle am Standort online gehen. Bei Verlust oder Diebstahl kann damit also außerhalb des Marktes keine Verbindung zum Migros-Server hergestellt werden.

Der Arbeitsplatz des Storemanagers ist die Verkaufsfläche.

Kerim Tatlici

Group Manager IT, Migros T.A.S. Türkei

Für die kurze Entwicklungszeit von 6 Monaten sorgte ein sogenannter agiler Entwicklungsansatz, bei dem neue Software jeweils in kleinen Paketen entwickelt und ausgeliefert wird. 2013 wurde MyOffice unter anderem als beste Instore-Lösung mit dem Retail Technology Award ausgezeichnet. „Der Migros-Showcase hat den deutschen Markt ordentlich wachgerüttelt“, sagt Bernhard Webler, Vicepresident und Experte für Handelslösungen bei Microstrategy in Köln. Für Handelsunternehmen in Deutschland und Europa sei damit ein Benchmark gesetzt und treibe das Interesse an mobilen BI-Lösungen bis hinunter auf Filialebene weiter voran.

Zwar gibt es bereits mobile BI-Lösungen, allerdings sind diese bisher entweder weiter oben im Management angesiedelt und/oder bieten weit weniger umfangreiche Analyse- und Berichtsfunktionen. So hat beispielsweise der Discounter Lidl im Herbst 2012 rund 800 deutsche Verkaufsleiter mit iPads ausgerüstet. Jeder Verkaufsleiter ist für fünf bis sechs Filialen zuständig und praktisch ständig unterwegs. Die erforderlichen Informationen zur Steuerung dieser Filialen, beispielsweise zum Warengeschäft, zu Kennzahlen oder Personalmaßnahmen, musste er sich in der Vergangenheit umständlich aus einem ganzen Satz von Aktenordnern zusammensuchen und bei Filialbesuchen ein Klemmbrett mit Listen mitführen.

Inzwischen können deutsche und seit 2013 auch schweizerische Verkaufsleiter über eine Data Warehouse-App vertriebsrelevante Statistiken und Kennzahlen und in Echtzeit per Tablet abrufen und außerdem erstmals mobil auf E-Mails zugreifen. Künftig soll LIMO (Lidl Mobile Office) europaweit mit rund 3.000 Tablets ausgerollt werden. Auch die Lidl-App basiert auf der BI-Plattform von Microstrategy, bleibt allerdings sortiments- und aufgabenbedingt deutlich hinter dem Umfang der Migros-App zurück.

Kennzahlen mobil abrufen

Als Spezialist für Kassensoftware und Warenwirtschaft bietet Hölt Retail Solutions seit rund zwei Jahren eine webbasierte mobile BI-Lösung unter dem Namen „BI2GO“, die Informationen auf jedem onlinefähigen Gerät wie Kasse, MDE, Tablet oder PC verfügbar macht. Damit lassen sich beispielsweise aktuelle Bestände per MDE-Gerät direkt an der Ware abfragen. Die Lösung beinhaltet auch ein Set von Standardberichten. „Vor allem kleinere Unternehmen bevorzugen fertige Lösungen“, sagt Peter Dietrich, Produktmanager bei Höltl. Erst im nächsten Entwicklungsschritt will das IT-Unternehmen aus Bad Hersfeld seinen Kunden die Möglichkeit bieten, eigene Berichte zu erstellen.

Der Schweizer IT-Dienstleister Bison hat dagegen eine App entwickelt, mit der beispielsweise Regionalmanager ihr Smartphone nutzen können, um wichtige Kennzahlen mobil abzurufen. Allerdings seien die Darstellungsmöglichkeiten im Vergleich zum PC begrenzt. Marketingleiter Carlos Zanatta warnt deshalb vor „trügerischer Mobilität“, gerade im höheren Management ersetze die mobile BI-Anwendung keine leistungsstarke „Arbeitsplatz-BI “.

Migros Türk zieht dagegen Ende 2013 ein erstes positives Fazit: So seien beispielsweise Regalverfügbarkeit und Kassenproduktivität gestiegen, der Abverkauf von Regalhütern habe sich verbessert, der Papierverbrauch sei gesunken, und nicht zuletzt verbrächten die Storemanager erheblich mehr Zeit auf der Fläche – also zusammen mit Kunden und Mitarbeitern.

Foto: Höltl

Floormapping statt Excel-Tabelle

Microstrategy ist Spezialist für Business-Intelligence-Lösungen. rt sprach mit Bernhard Webler, Vicepresident Retail Solutions bei Microstrategy, Köln, über den Nutzen mobiler Anwendungen für Storemanager.

Herr Webler, für Migros Türkei haben Sie 2013 eine weitreichende mobile BI-Anwendungen umgesetzt. Wie ist die Resonanz im deutschen Handel?

Der Migros-Showcase hat den deutschen Handel ordentlich wachgerüttelt. An diesem Beispiel wird sehr deutlich, wie weit man mit mobilen Endgeräten heute schon gehen kann. Migros Türkei setzt damit den Maßstab für andere Handelsunternehmen, die sich jetzt fragen müssen, wie weit sie selbst mobile Lösungen vorantreiben wollen. Durch eine mobile Lösung werden Daten nicht nur schneller verfügbar, sondern auch anschaulicher. Wir arbeiten zum Beispiel mit Floormapping. Statt sich durch Excel-Tabellen zu arbeiten, erkennen Marktleiter kritische Zonen im Markt auf einen Blick und erhalten per Fingertipp alle benötigten Infos dazu. Und das System ist interaktiv: Sie können auch Daten in das zentrale ERP zurückschreiben.

Gibt es schon vergleichbare Lösungen im deutschsprachigen Raum?

Noch nicht so viele. Vor allem Unternehmen, die auf schlanke Prozessstrukturen achten, sind offen für mobile Lösungen. Wie Sie der Presse entnehmen konnten, hat zum Beispiel Lidl eine mobile BI-Lösung auf Verkaufsleiterebene. Es gibt noch zwei bis drei andere Kunden, die intensiv an einer mobilen Lösung auf Marktleiterebene arbeiten, die 2014 ausgerollt werden soll.

Das sind ja noch nicht so viele. Welche Bedenken haben die Unternehmen noch im Hinblick auf mobile Lösungen?

Sie erkennen zwar an, dass mobile Endgeräte den Marktleiter unterstützen und tatsächlich auf die Fläche bringen. Allerdings herrscht ebenfalls die Sorge, dass ein iPad ablenkt. Und natürlich gibt es Sicherheitsbedenken, auch wenn es gute Sicherheitslösungen gibt. Migros Türkei arbeitet zum Beispiel mit SIM-Karten, die nur in der lokalen Mobilfunkzelle und im Markt-Wlan den Empfang von Daten erlauben. Außerdem werden sensible Daten gar nicht auf den Geräten gespeichert. Nur die Strukturen der Berichte sind vorhanden und werden bei jedem Abruf neu befüllt.

Und das Thema Datenqualität?

BI-Lösungen von Microstrategy basieren auf einer Plattform, die eine konsistente KPI-Weitergabe aus den verschiedenen Quellen an die Nutzer steuert. Es gibt deshalb keine inkonsistenten Daten, das unterscheidet unseren Ansatz. Die Plattform ist skalierbar. Sie können also klein anfangen, zum Beispiel in einer Abteilung mit hoher BI-Affinität und das System dann nach und nach um weitere Datenbanken erweitern.

Migros Türkei nutzt iPads – der weltweite Standard für mobile BI?

Ja, für das iPad gibt es erfahrungsgemäß den größten Bedarf, aber wir unterstützen die ganze Produktpalette von Apple und auch Android-Geräte. In den USA werden mobile Endgeräte zum Teil schon auf Mitarbeiterebene eingesetzt, da genügt dann der kleinere iPod Touch. Die Schwenkfunktion der Geräte lässt sich zur Navigation nutzen, zum Beispiel senkrecht = Tabelle, waagerecht = grafische Darstellung. Die Baumarktkette Lowes unterstützt Verkaufsmitarbeiter mit iPod Touchs dabei, den Kunden eine Endless-Shelf-Experience zu bieten: Ist ein Produkt nicht im Regal, erfährt der Kunde genau, in welchem Markt oder an welchem Tag es verfügbar ist, kann es sich reservieren lassen oder im Online-Shop bestellen. Für mich eine der intelligentesten und nachhaltigsten Multichannel-Umsetzungen, die es derzeit weltweit gibt.

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