Vor fünf Jahren machten die typischen Imbissbereiche gerade einmal 6 Prozent der Verkaufsfläche in Shoppingcentern aus. Mittlerweile hat sich diese Zahl in den neueren oder modernisierten Shoppingmalls mindestens verdoppelt, zum Teil liegt sie bereits bei knapp 20 Prozent, wie man es bislang nur aus dem asiatischen Raum kannte. Im neuen Shoppingcenter Trinity im britischen Leeds beispielsweise hat man von einer Außenterrasse einen fantastischen Blick über das Stadtzentrum. Im Herbst will der Eigentümer „Trinity Kitchen“ ins Angebot aufnehmen, einen Gastronomiebereich mit Kochvorführungen, Straßenverkäufern und Marktständen.
Unibail-Rodamco, Eigentümer von Einkaufszentren in Europa, hat angekündigt, in seinen Shoppingcentern Informationstresen in Empfangsbereiche umzuwandeln und will sich überhaupt bei Angebot und Gestaltung der Einkaufszentren stärker am Hotelgewerbe orientieren. Die Bruttogastronomiefläche will das Unternehmen von 5-8 Prozent auf 10-15 Prozent der Verkaufsfläche vergrößern. Im Folgenden einige interessante Beispiele für gastronomische Entwicklungen im europäischen Einzelhandel allgemein.
Recipease, London/Großbritannien
Nur wenigen Köchen ist es gelungen, ihre Marke im gesamten Einzelhandel so zu verbreiten wie dem Fernsehkoch Jamie Oliver. Seine dritte und neueste Filiale von Recipease eröffnete er in Notting Hill Gate. Zu diesem Anlass wurde die Markenidentität von Recipease überarbeitet. Die Läden sind eine Kombination aus Einkaufsstätte, Kochschule und Gastronomie. Oliver präsentiert sich als Verfechter des heimischen Kochens und wirbt gleichzeitig mit seinem Namen für große und bekannte Marken.
Weinkellerei Höchst, Stuttgart/ Deutschland
Auf einer Fläche von 80 qm hat die Weinkellerei Höchst im Erweiterungsbau des Main-Taunus-Zentrums in Sulzbach/Taunus ihr zweites Weingeschäft eröffnet. Bei der Raumgestaltung bestand die Hauptaufgabe der in Stuttgart ansässigen Ippolito Fleitz Group darin, das gesamte Sortiment mit über 600 verschiedenen Weinen und Spirituosen, Feinkost- und Geschenkartikeln auf der kompakten Fläche zu präsentieren und dabei die umfassenden Fachkenntnisse der Weinkellerei zu illustrieren. Wie in einer ehrwürdigen Bibliothek reihen sich die Weinflaschen an den drei Innenwänden in Regalen auf, die vom Boden bis zur Decke reichen. Durch eine am Rand verlaufende Spiegeldecke verstärkt sich dieser Effekt in die Höhe. Innerhalb des Spiegelrandes hängen unzählige Glaskörper von der Decke. In ihnen bricht sich das Licht wie bei Kerzenschein, wodurch der eigentlich moderne Raum die stimmungsvolle Atmosphäre eines Weinkellers erhält.
Presso, Mailand/Italien
Presso – Kook Sharing Experience ist ein 350 qm großer Concept Store und darauf ausgelegt, den Kunden Produkte im Alltag ausprobieren zu lassen. Die Kunden melden sich auf der Website an, buchen einen Raum („Luxury“, „Urban“ oder „Crossover“) und geben an, wie lange sie bleiben möchten. Dann wählen sie aus, welche Leistungen sie nutzen möchten. Es gibt u.a. die Möglichkeit, in einer Designerküche selbst zu kochen oder sich bekochen zu lassen – und ob sie sich hinterher noch einen Film ausleihen oder Lebensmittel kaufen möchten. Vor Ort können die Gäste Produkte ausprobieren, entdecken und nutzen, deren Hersteller dafür bezahlt haben, dass sie bei Presso ausgestellt werden. In einem Bereich sind Informationen über die Produkte zu finden sowie drei Touchscreens, die direkt auf die Website der Anbieter führen.
Bäckerei, Gondomar/Portugal
Die Architekten Paulo Merlini Arqitectura schufen eine ungewöhnliche, puristische Bäckerei mit Gastro-Angebot ganz in Weiß. Sie zogen eine zweite Decke Holzlatten ein, die den Schall und die Beleuchtung dämpft. Als besonderer Hingucker formen die Holzlatten an einigen Stellen Bögen nach unten, ganz so, als würde Zuckerguss von einem Kuchen herabtropfen.
Wikibar, Paris/Frankreich
Die Wikibar in Paris wurde im Juni dieses Jahres eröffnet. Die zentrale Idee ist die umweltfreundliche Verpackung von Lebensmitteln und die Abschaffung überflüssiger Verpackungen. Die Innenraumgestaltung des französischen Designers Mathieu Lehanneur ist minimalistisch. Eine Spiegellampe, die sich aus zahlreichen Sechsecken zusammensetzt und sowohl Licht ausstrahlt als auch Lichtstrahlen reflektiert, hängt über einer Bar. Die Sechsecke symbolisieren das Hauptprodukt des Projekts: „WikiCells“ und „WikiPearls“, das sind kleine Bälle, die Getränke in einer essbaren Hülle enthalten, wobei die Menge ungefähr dem Inhalt einer Espressotasse entspricht. Entwickelt wurde das Konzept von dem Harvard-Professor David Edwards in Zusammenarbeit mit dem Biologen Don Ingber und dem Designer François Azambourg.
Veganista, Wien/Österreich
Im 7. Wiener Bezirk hat in diesem Sommer das erste vegane Eiscafé Österreichs eröffnet. Veganista bietet hausgemachte vegane Eissorten. Bekannt wurden die Besitzerinnen Cecilia Blochberger und Susanna Paller damit, dass sie vor rund 10 Jahren die tierversuchsfreie Kosmetikmarke Lush Cosmetics nach Österreich und Mitteleuropa brachten. Das Design ist minimalistisch und schlicht, damit die farbenfrohen Eissorten optisch für sich sprechen können.
Montreux Jazz Café, London, Großbritannien
Das Montreux Jazz Café ist eine Kombination aus Café und Einzelhandel, die es bereits in Genf und in Zürich gibt. Jetzt wurde bei Harrods in London ein Montreux Jazz Café eröffnet, das eine überarbeitete und modernisierte Form des Markenkonzepts darstellt. Ausgangspunkt ist der Gedanke, dass den Gästen vermittelt werden soll, worum es beim Montreux Jazz Festival geht und welch hohem Standard die musikalischen Festival-Darbietungen in Bezug auf Kreativität und Klang entsprechen. Neben dem eigentlichen Café, wo Getränke und leichte Gerichte nach schweizerischem Vorbild serviert werden, gibt es einen Verkaufsbereich mit Produkten rund um das Festival wie Archivaufnahmen, DVDs, Kleidung und Modeaccessoires der Marke Montreux Jazz, Poster und moderne Grafiken.
Wasbar, Antwerpen/Belgien
Nach der Eröffnung der ersten „Waschbar“ in der belgischen Stadt Gent im letzten Jahr haben Dries Henau und Yuri Vandenbogaerde ihr Konzept jetzt auch in Antwerpen umgesetzt. Die „Waschbar“ ist, wie der Name schon sagt, eine Kombination aus einem Waschsalon und einer Bar. Die Gründer haben ihre gut bezahlten Arbeitsplätze aufgegeben, um ihr Konzept in die Tat umzusetzen, nachdem sie in einer belgischen TV-Show den Preis für die innovativste Geschäftsidee gewonnen hatten. Die Filiale zeichnet sich durch ein schlichtes und freundliches Design mit Möbeln im Vintage-Stil aus. Darüber hinaus bietet die Wasbar einen Bereich mit Schreibtischen, Ladestationen und Büromaterial sowie kostenlosen WLAN-Zugang. Donnerstags gibt es Live-Auftritte von jungen Künstlern, sonntags wird ein Brunch serviert.
Noorderparkkamer, Amsterdam/ Niederlande
Das Projekt „Noorderparkkamer“ wurde ins Leben gerufen, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Norden Amsterdams zu fördern und ein umweltfreundliches neues Café in der Gegend zu eröffnen. Für Ausbau und Gestaltung des Cafés wurden ausschließlich gebrauchte Materialien und Möbel verwendet, die man über die Website „Marktplaats“, das niederländische Ebay, ersteigert hatte. Die Außenseite besteht aus Holzplatten, die mit Scharnieren versehen sind, sodass die Platten das Gebäude nach Geschäftsschluss vollständig umschließen. Der mit weißen Möbeln und Naturholzböden ausgestattete Innenraum ist schlicht gehalten.
Velokafi, Zürich/Schweiz
Im schweizerischen Zürich wurde zu Beginn der diesjährigen Fahrradsaison das Velokafi eröffnet, ein saisonales Angebot der Stadt auf der Außenterrasse des Rathaus-Cafés direkt an der Limmat. Für das Velokafi wurden zwei hölzerne Fahrradstellplätze entworfen, jeweils mit einem Tisch darüber, sodass die Radfahrer auf dem Sattel sitzen bleiben können, während sie ihren Kaffee trinken. Für eine Anmeldung über Facebook oder Foursquare gibt es eine Tasse Kaffee gratis. Das Velokafi ist Teil des offiziellen Programms „Stadtverkehr 2025“, das den Autoverkehr in der Zürcher Innenstadt verringern soll.
Lavazza, Italien, Rollout
Die italienische Kaffeemarke Lavazza geht auf internationalen Expansionskurs mit „Espression“, einem Servicekonzept, das an die verschiedenen lokalen Märkte angepasst werden kann. Die Kaffeebars präsentieren sich in leuchtendem Lavazza-Rot und mit grau gefliesten Böden in Natursteinoptik. Das Design der Möbel und Wandgestaltung und die Linienführung erinnern an die 1950er-Jahre. Das Konzept wird derzeit in Mittel- und Osteuropa, Südamerika und Fernost ausgerollt.