Der Strukturwandel der Handelslandschaft beschert gastronomischen Konzepten in Shoppingcentern aktuell einen wahren Karrieresprung. Bis vor wenigen Jahren – und in Ausnahmen bis zum heutigen Tag – wurde die Befriedigung der Grundbedürfnisse Essen und Trinken mit manchmal kargen, standardisierten Aufenthaltsbereichen beantwortet, die nicht selten in die weniger profitablen Lagen eines Centers verbannt wurden. Die Speisekarte bestand oft aus den einschlägigen Fast-Food-Menüs. Es ging um Volumen. Inzwischen hat sich die Zielsetzung, Gäste „abzuspeisen“ und ihre Verweildauer möglichst knapp zu halten, ins Gegenteil verkehrt. Die Aufenthaltsqualität wird zum Aushängeschild eines Centers, der Food-Bereich als soziales Ereignis inszeniert. „Schaffen Sie Orte, wo die Leute sein wollen“, fordert Jonathan Doughty, Managing Director der britischen Coverpoint Catering Consultancy.
Es geht um eine Umorientierung der Center von der Handelskonzentration hin zum geselligen Ort mit Freizeitwert und „Genusspotenzial“. Diese Entwicklung ist nicht zuletzt auf die Digitalisierung und teils stagnierende Handelsumsätze zurückzuführen. Bei den „Leuchttürmen“ in der Center-Landschaft bilden die Food-Bereiche, zentral positioniert und gut sichtbar in die Gesamtarchitektur integriert, inzwischen fast so etwas wie die Herzstücke der Center. Ein Beispiel liefert das gerade eröffnete Zentrum Skyline Plaza in Frankfurt am Main mit seiner spektakulären Dachterrasse sowie üppigem Fitness- und Food-Angebot. Ebenso wie die vor wenigen Wochen neu installierte „Food Lounge“ in den Stuttgarter Königsbau Passagen. In sechsmonatigem Umbau wurde eine Gastro-Fläche von 1.200 qm in das bestehende fünfstöckige Center „hineingeschnitten“, ausgestattet mit moderner Architektur und viel Tageslicht. Dieser klassische Food Court mit gemeinsam genutzter Sitzzone und 13 Gastro-Stores mit Speisen zwischen Sushi und schwäbischen Klassikern verdoppelt die Gesamtzahl der Food-Einheiten.
15 Prozent der Mietfläche
Bei älteren Centern liegt der Anteil der Gastronomie an der gesamten Mietfläche bei um die 5 Prozent. Bei neueren Centern klettert er bereits oft über die 10-Prozent-Marke. „In den nächsten fünf bis zehn Jahren wird der Foodservice bis zu 15 Prozent der Bruttomietfläche einnehmen“, prognostiziert Jonathan Doughty. Selbst das Argument der deutlich höheren Flächenproduktivität in den Handels-Einheiten verliert an Kraft: „Gut gemachte Gastro-Einrichtungen in Centern können für den Mieter überdurchschnittliche Umsätze und für den Vermieter attraktive Miethöhen erzielen“, meint Thomas Doerr, Geschäftsführer der Comfort Center Consulting in Düsseldorf.
Attraktiven Speise-Zonen wird inzwischen die Rolle von Ankermietern und Frequenzbringern zugeschrieben. „In Centern wie dem neuen Skyline Plaza ist ein starker, moderner Gastro-Bereich ein wichtiger Attraktor. Der Food-Court liefert Touristen und Business-Leuten oft überhaupt erst den Grund, in die Center hineinzugehen“, ist Christoph Meyer, Geschäftsführer von CM Best Retail Properties, überzeugt und weist auf die unverzichtbare Standort-Differenzierung hin: „Bei fachmarktorientierten und wohngebietsnahen Centern, die die Hausfrau oder Familie gezielt aufsuchen, dient die Gastronomie nur als Zusatzangebot. Da wird nebenher ein Würstchen konsumiert oder eine Eistüte. In Outlet-Centern, zu denen die Kunden weite Wege zurücklegen, ist umfangreiche Gastronomie hingegen ein notwendiges Infrastrukturangebot.“
Eine Gastro-Fläche im Einkaufszentrum ist ein filigranes Gefüge mit vielen Variablen, dessen Ausdifferenzierung Präzisionsarbeit verlangt. Standort-spezifische Kriterien wie Abendöffnung, Außenbestuhlung, Etagen-Platzierung, Architektur und nicht zuletzt das Umfeld entscheiden zusammengenommen über den Erfolg. Marc Blum von der ECE sagt dazu: „Wichtig bei der Planung von Food-Courts ist die Analyse der Wettbewerbssituation, des Kulturraums, der Zielgruppe und der sich in der Nähe befindlichen Einrichtungen wie Kinos etc.“
Nicht nur zum Essen
Abgesehen von Vorzeigeprojekten herrscht in vielen Centern Handlungs- und Modernisierungsbedarf. Der fängt schon bei der Begrifflichkeit an. Die 80er-Jahre-Modeerscheinung „Bistro“ sollte ebenso wie die „Heiße Theke“ aus dem Sprachschatz gestrichen werden. Und: „System-Gastro hörte sich eher nach Magen-Darm-Problem an“. Das sagt Mark Korzilius, Gründer der Restaurant-Kette Vapiano. Er empfiehlt, sich von alter Kategorie-Denke zu verabschieden, um besser auf die veränderten Lebenswelten eingehen zu können. „Es gibt keine klassischen Mahlzeit-Rhythmen mehr. Die Leute kommen nicht vorrangig zum Essen ins Restaurant, sondern aus anderen Gründen.“
Den „Social Glue“, den „sozialen Kitt“ erkennt auch Jonathan Doughty als Hauptgrund für gesellige Aufenthalte vor kulinarischer Kulisse. Gerade in Zeiten der sogenannten digitalen Vereinzelung genießen die Menschen eine kleine Auszeit beim gemeinsamen Drink, der Lunch wird als Mini-Urlaub regelrecht zelebriert. Den Online-Handel betrachtet Doughty daher nicht als Gegner, sondern als Beförderer des Eating-out-Trends. Dougherty: „Food is fashion.”
Der Trend beim öffentlichen Mahl weist qualitativ nach oben zu Höherwertigem. Das Angebot klassischen Fast Foods wird ergänzt durch Kategorien wie „Fast Casual“- und „Leisure Dining“-Angebote, die etwa mit frisch zubereiteten Speisen das Fast-Food-Niveau anheben, eine gewisse Raffinesse in die Speisen bringen und damit höhere Ausgabebereitschaft generieren. Selbst Menüs in gehobener Restaurantqualität sind laut Food-Fachmann Doughty ein zwar noch schmales, aber wachsendes Segment im Shoppingcenter-Portfolio.
Vielfalt, als ein entscheidender Faktor, bezieht sich nicht nur auf die geografische oder kulturelle Herkunft der Speisen, sondern auch auf deren Inszenierung, so Doughty. Darunter fallen Kochvorführungen, Schaukochen und offene Küchen. „Restaurant-Erlebnis zum Food-Court-Preis“, sollte die Zielsetzung lauten. Zum Erlebnis werden sollte auch die Gestaltung der Sitzbereiche, ob diese gemeinsam bewirtschaftet sind oder individuell. Open-Air-Food-Courts, offene Courtyards, versteckte Kojen-Plätze oder Familienbereichen mit kindgerechtem Mobiliar – die Antworten innovativer Betreiber fallen bereits recht einfallsreich aus.
Fotos: ECE (2), Sonae Sierra (2)
Denkverbote aufheben
Christoph Meyer, Geschäftsführer von CM Best Retail Properties, hat Rezepte, um aus dem Food-Court einen Third Place zu machen.
Würstchen, Whopper oder Weinprobe, Herr Meyer?
Unterschiedliche Strukturen in und um die Shoppingcenter können grundverschiedene Angebote erfordern. Die Kunst besteht darin, die richtige Mischung für den jeweiligen Standort hinzubekommen.
Was ist für moderne Gastronomiebereiche in Shoppingcentern wichtig?
Eine frequenzstarke Lage im Center, publikumsgerechte Öffnungszeiten, ausreichend Kapazitäten auch für die Peaks und viele andere Dinge. Entscheidend ist jedoch auch der kulturelle Ansatz: Anders als zum Beispiel in den USA ist der Gedanke des Third Place in der hiesigen Center-Kultur wenig verinnerlicht. Neben dem Zuhause und dem Arbeitsplatz ist der Third Place der Ort, an dem ich mich in der Freizeit aufhalte, weil ich mich dort wohlfühle – die Überlegung, was ein Shoppingcenter hip macht, sodass die Leute gerne hingehen.
Was zum Beispiel kann eine Gastro-Fläche hip machen?
W-Lan kostenfrei, Videoscreens, interaktive Angebote und Vieles mehr. Warum nicht Kochkurse im Food-Court? Was spricht gegen einen Music-Club mit Abend-Events in der Mall? Im Centro Colombo in Lissabon gibt es sogar eine Kapelle, da gehen die Leute zum Beten hin. Wir müssen uns zunächst von Sachzwängen und Denkverboten lösen und brainstormen darüber, was unsere Kunden wollen. Nur das ist das Maß der Dinge.
Was raten Sie, um den kulturellen Horizont in Sachen Food-Courts zu erweitern?
Ein Besuch in Asien, wo Straßenküchen, das Draußen-Essen und damit auch Food-Courts einen außerordentlichen Stellenwert besitzen und grandios inszeniert werden. Oder beim Street-Food-Thursday in Berlin-Kreuzberg vorbeischauen, wo in der Markthalle Neun eine Sammlung der besten Bürgersteig-Delikatessen aus Berlin und der ganzen Welt präsentiert werden.