In manch angesagtem Store wähnt man sich bisweilen wie im Theater. Spektakuläre Architektur und bühnenreife Kulisse, Show und Entertainment sollen selbst das Einkaufen von Waschmitteln oder Einweckgläsern noch zum Erlebnis machen. Der Point of Sale wandelt sich immer stärker zum Point of Interest, und die jeweiligen Zielgruppen goutieren dort unterschiedliche Inszenierungen – von massentauglichem Mainstream bis hin zu extremem Spektakel etwa bei Abercrombie & Fitch. „Die Aufführung muss nicht allen gefallen – aber einigen richtig gut“, kommentiert Trendforscher Andreas Steinle vom Zukunftsinstitut aktuelle Trends der Ladengestaltung. Diese Showbühne hat eine neue Dimension erhalten: Die Decke wird wichtiger Teil der Inszenierung.
Weiß, dezent, neutral: Der typische Platten-Look früherer Jahre weicht in erlebnisorientierten Unternehmen heute vielfach der offenen Gestaltung der Decke, die in lichter Höhe den Blick freigibt auf die technischen Installationen – von den Beleuchtungskörpern über die zentrale Lüftungsanlage bis zu langen Kabelschächten mit Versorgungsleitungen. Oder auf neue fantasievolle Dekors und Installationen.
Vom Young-Fashion-Store bis zum Supermarkt (z.B. bei Edeka) wetteifern die Unternehmen um möglichst attraktive und individuelle Deckenlösungen. Oft sind die offenen Deckenkonstruktionen in dramatisches Schwarz getaucht. Mal gesellen sich markante Holzträger dazu, mal aufwändige Deckensegel, aufmerksamkeitsstarke Digitaldrucke oder dekorative Designelemente. Auch die Beleuchtung trägt diesem Decken-Szenario Rechnung: So erwecken beispielsweise abgehängte Schienen-Strahler-Systeme oder LED-Systeme das Gefühl, als schwebe das Licht frei im Raum.
Die Decke eröffnet ganz neue Spielfelder in unterschiedlichen Branchen. Der Arbeitskleidungsspezialist Engelbert Strauss Workwear etwa hat die Arbeitswelt in seinem zweiten Store in Bergkirchen von den Berliner Plajer & Franz-Architekten auf unkonventionelle Weise inszenieren lassen. Die themenorientierte Deckengestaltung besteht dabei aus Besen, Spanngurten oder Abrissbirnen in Discokugel-Optik, aus Leuchten aus Wasserwaagen oder Schaufeln. Beim neuen Puma-Store in Osaka inszenieren wechselnde Installationen wie beispielsweise „clever little bags“ die Decke als Designfläche immer wieder neu. Im neuen Pariser Flagshipstore von Karl Lagerfeld verbinden sich Lichtkanäle an der Decke optisch mit den Warenträgern im Raum. Dadurch entsteht eine gewisse Fusion von Decken und Wänden. Realisiert wurden diese beiden Projekte ebenfalls von Plajer & Franz.
Deckeninstallationen
Auch das Ladenbaukonzept von Wormland betont die Dreidimensionalität des Raumes. In der Hannoveraner Filiale hat man in Zusammenarbeit mit Blocher Blocher Architekten „mal die klassische Abgrenzung von Wand und Boden, mal von Wand und Decke überspielt“ und so Kippeffekte erzielt, erklärt Wormland-Head of Marketing Dirk Koeberle. Offene Decken wechseln sich in den verschiedenen Abteilungen der Wormland- und Theo-Filialen mit Deckensegeln ab, schwarz verspiegelte Decken mit Deckenfeldern aus rauen Holzlamellen. Dieses Material taucht im Mobiliar an Wand und Boden wieder auf und verstärkt den rauen industriellen Charakter der Inszenierung. Von Deckensegeln flankierte offene schwarze Decken über dem Laufweg können die Raumoptik durch lange „Fluchten“ erweitern. Die gleiche Deckeninszenierung über Sondertischen richtet den Fokus wiederum auf die Warenpräsentation.
Eine auffällige Deckengestaltung hat auch Dula Ladenbau im neuen BVB-Fanshop im Centro Oberhausen entwickelt. Die Installation aus schwarzen Buchstaben und Zahlen und dazu kontrastierender gelber LED-Beleuchtung setzt das überdimensionale runde BVB-Logo an der Decke aufmerksamkeitsstark in Szene. An anderer Stelle und inmitten eines weiteren kreisrunden Deckenausschnitts schweben individuelle Beleuchtungselemente wie Fußbälle in der Luft und sorgen so für ein außergewöhnliches „Lichtspiel.“
Keine Frage: Handelsunternehmen scheuen weder Mühe noch Kosten, um auch die Decken als „emotionale Spielfläche“ in ihre aufwändige Raumarchitektur zu integrieren. Und doch: Die neutrale weiße Decke ist auch in diesem Umfeld keineswegs passé, sondern findet weiter ihren Beifall bei den entsprechenden Zielgruppen. Im Bereich höherwertiger Damenmode beispielsweise passt der raue industrielle Charme vieler offener Deckensysteme nicht zur Zielgruppe. Hier sorgen weiter helle, freundliche Lösungen für eine ruhigere Optik auf der Verkaufsfläche. Hingucker beschränken sich beispielsweise auf dekorative Deckensegel in sogenannten Fokus-Areas.
Auch in vielen mehrstöckigen Einkaufszentren versehen abgehängte Decken aus Gipskartonplatten weiter ihren Dienst. In den Münchner Pasing Arcaden beispielsweise stellen die klaren weißen Decken (Hersteller: Knauf) den gewünschten ruhigen Gegenpart zu den individuell dekorierten und somit meist unruhigen Fassaden der Shops dar. Die Auslässe von Licht, Lüftung & Co. hingegen sind in kleinere, mit Pagolux-Elementen gestaltete Felder eingebaut – und notwendige Elemente wie Sprinkler, Kameras oder Lüftungsauslässe und Lautsprecher somit weitgehend unsichtbar in der offenen Deckenkonstruktion über den Rolltreppen integriert.
Fotos: Plajer & Franz Studio (3), Knauf Riessler (1)
Brandschutz und Akustik sind schwierig
Akustik und Brandschutz sind besonders wichtige Themen hinsichtlich offener Decken im Handel. Sebastian Mittnacht, Leitung Marktmanagement und Technik bei Knauf Riessler, gibt Anregungen zu diesen Problemfeldern.
Was halten Sie als Hersteller von Deckensystemen vom Trend zur offenen Decke im Ladenbau?
Das ist nicht immer unproblematisch, weil zum Beispiel die Brandschutzanforderungen schwieriger zu lösen sind, gerade bei mehrstöckigen innerstädtischen Bestandsbauten. Deckenkonstruktionen zwischen fremden Nutzungseinheiten müssen normalerweise dem Feuer 90 Minuten Widerstand leisten. Eine offene Decke bietet hier oft nicht ausreichend Schutz und verlangt nach weiteren Brandschutzmaßnahmen. Aber auch die Akustik spielt eine Rolle.
Gibt es hier auch entsprechende Vorschriften?
Für Verkaufsräume gibt es laut DIN 18041 grundsätzlich nur Empfehlungen zur Raumakustik. Akustik soll eine der Raumnutzung angepasste Sprachkommunikation über eine geringere Entfernung ermöglichen – etwa beim Verkaufsgespräch. Aber je nach Geschäftstyp und Sortiment können schon sehr störende Geräusche auftreten, sodass sich Kunden dort nicht mehr wohl fühlen. Deshalb empfehlen sich dort spezielle Akustiklösungen.
Wie wird die Raumakustik durch offene Decken beeinflusst?
Die Akustik in einem Raum wird von dem Raum an sich und von den verwendeten schallabsorbierenden Materialien an Wand, Decke und Boden maßgeblich beeinflusst. Vergleichen Sie etwa ein Bekleidungsgeschäft mit einem Sanitärgeschäft mit überwiegend schallharten Oberflächen. Bei einer offenen Decke fehlt eine wichtige Fläche im Raum für akustische Maßnahmen. Wie wichtig dies ist, kann jeder erleben, der etwa an einem Samstag durch ein Einkaufszentrum schlendert, wo dann auch noch Events mit Musikbegleitung stattfinden.
Wie folgen Sie mit neuen Produkten und Lösungen dem Wunsch nach individueller Deckengestaltung?
Wir kombinieren bestehende Materialien zur Schallabsorption mit modernen Designlösungen, zum Beispiel digital bedruckte Mineralfaser- oder Gipskartonplatten, die viele neue Anwendungsfelder für unsere Kunden erschließen. Auch Baffelsysteme aus dem Werkstoff Holzwolle können hervorragend in offene Decken integriert werden. Das haben wir zum Beispiel im Einkaufszentrum Nova Eventis in Leipzig realisiert.