Das Projekt „Die Zukunft unter uns“ verfolgt das Ziel, das Konzept des Bodens im Ganzen zu überdenken und herkömmliche Denkmuster und Herangehensweisen über Bord zu werfen. Die Ausstellung visualisiert eine Zeit- und Erkundungsreise zum Thema Boden. Sechs Entwicklerteams gehen seiner Herkunft nach, betrachten seine Gegenwart und gehen mit großen Schritten seiner Zukunft entgegen. Das Ergebnis sind Ausblicke in die Zukunft des Bodens, Visionen, die völlig neue funktionale und gestalterische Perspektiven eröffnen.
„Der Boden der Zukunft besteht hauptsächlich aus nichts.“ Die provokante These des Teams der Universität der Künste Berlin um Professor Dr.-Ing. Christoph Gengnagel folgt dem Low-Tech-Ansatz: weniger Material, weniger Energie, mehr Performance. Angeregt vom Prinzip des Vakuums, von der Wurf-Zelt-Technik und vom Waldboden haben sie einen mobilen Boden entwickelt, der nachhaltig ist, wenig Platz benötigt und ein geringes Gewicht mitbringt. Die flexible, ultraleichte Konstruktion besteht aus linearen und elastisch verformbaren Stäben – durch Unterdruck versteift und stabilisiert – in Kombination mit rollbaren Seilen und Membranen. Die Analogie ist die Haut mit ihren Sehnen und Knochen. Damit ließe sich der Boden zukünftig nach den Begebenheiten formen, der Umgebung anpassen und auf Wunsch transportieren. Einsatzmöglichkeiten des mobilen Bodens sind Outdoor-Aktivitäten, temporäre Architektur oder Mezzanine.
Abnutzung erwünscht
Chris Lefteri, Designer und Materialexperte aus London, schuf gleich zwei Visionen eines Zukunftsbodens. Die erste, „Breakable“, ist eine Gestaltungsidee, die unsere Wahrnehmung sensibilisieren möchte. Seine Devise: „Der Boden der Zukunft zeigt unsere Bewegungen auf.“ Die Idee dahinter: Wir hinterlassen durch jeden einzelnen unserer Schritte Spuren. Diese können mithilfe gezielter Materialauswahl sichtbar gemacht werden, ja sogar Muster bilden. Wie ein alter Parkettboden, der durch jahrelange Benutzung seine Geschichte erzählt, schreibt dieser Boden der Zukunft ebenfalls Geschichte, unsere ästhetische Geschichte. Durch die Benutzung werden verschiedene Muster freigelegt und der Boden erhält seinen dekorativen Wert. Die Abnutzung sowie Sollbruchstellen sind von Anfang an beabsichtigt. Der Boden soll in verschiedenen Bruchmuster-Designs erhältlich sein.
Bei Lefteris zweiter Vision „Superminimal“ wird der Boden minimalistisch und erfüllt dennoch die Anforderungen an Statik und Optik. Seine Aussage lautet: „Der Boden der Zukunft ist Konstruktion und Belag zugleich.“ Das Konzept setzt auf ein Prinzip, das so in der Architektur noch nie verwendet wurde, um einen Boden mit möglichst wenig Materialaufwand zu generieren. Die Technik dahinter ist fünfmal stärker als Stahl und heißt Vectran. Ein hochfestes Fasergewebe wird entsprechend der benötigten Tragfähigkeit gespannt und verwoben, ähnlich der Bespannung eines Tennisschlägers. Die Belastungsstruktur der Fasern bestimmt hierbei die Textur des Bodens und damit auch seine Optik. Funktion und Ästhetik verbinden sich. Der Boden passt sich den individuellen Bedürfnissen und jeweiligen statischen Gegebenheiten an und verändert dementsprechend seine Anmutung.
Der Boden liefert Strom
Jasna Stefanovic aus Toronto, Kanada, arbeitet seit knapp 20 Jahren als Szenenbildnerin. Der Boden ist für sie viel mehr als das, was wir unter unseren Füßen spüren. Inspiriert von den Erkenntnissen des Physikers und Elektroingenieurs Nikola Tesla sieht sie den Boden als Medium, als Energiespender. Ihre Vision: „Der Boden der Zukunft verschafft uns Zugang zu elektrischer Energie.“ Der Boden selbst versorgt uns im Alltag mit Strom, wenn wir ihn benötigen. Licht oder Wärme lassen sich auf Wunsch oder automatisch bei Bedarf abrufen, ohne Kabel oder Akku. Ihr Konzept „Unplugged“ lässt an die Analogie des kabellosen Telefonierens denken, das inzwischen zur Normalität geworden ist.
Das Designerduo Andrea Großfuss und Olaf Kießling vom Büro für Produktgestaltung Sternform aus Ulm sehen einen Boden der Zukunft, der dem Benutzer Körper und Geist wieder deutlich erlebbar werden lässt. Ihre Vision: „Der Boden der Zukunft ermöglicht dem Menschen ein gesundes Leben.“ Der Boden der Zukunft ist nicht einfach „nur“ zu begehen, er trainiert oder entspannt uns mit jedem Schritt. Er wird federn, schwingen, prickeln oder sogar Licht und Klänge produzieren. Unterschiedliche Materialien stimulieren alle Sinne des Benutzers. Ihr Ideal: ein Bodenbelag, der sich mit individuell programmierbaren Bodenelementen an persönliche Vorlieben anpasst, um eine ganzheitliche Wohlfühlatmosphäre zu schaffen; beispielsweise das Sandstrandgefühl für das Bad, federnder Waldboden, aktivierende Kieselsteine oder beruhigendes Moos für den Flur oder den Balkon. Der Projektname ist Programm: „Change“.
„Der Boden der Zukunft ist unfassbar.“ Matthias Rick und sein Team von Raumlabor Berlin beschäftigen sich mit dem öffentlichen Raum in all seinen denkbaren Aspekten. Sie nennen ihr Konzept zum Thema Boden „Karte des Erdbodens“ oder „Mappa Mundi“ – die gesamte Welt umspannend – und beginnen erst gar nicht damit, es genau fassen zu wollen. Stattdessen reflektieren sie Vergangenes, analysieren die Gegenwart und schaffen eine Zukunftsvision, die Fragen aufwirft und Denkanstöße zum Leben der Menschen in der Zukunft gibt. Wichtige Aspekte ihrer Betrachtungsweise sind die Konsistenz des Bodens – eine Biomassenanalyse liefert hier weitere Erkenntnisse – und seine Bedeutung als Speicher von Geschichte.
Frank Wittkowski, Hanspeter Bressa, Thomas Schneider und die Floorstylistin Jeanet Hönig vom Team Uzin Utz untersuchen, wie der Boden, mit dem wir ständig in Kontakt sind, der für alle Menschen omnipräsent ist, uns im Alltag unterstützen kann. Welche Techniken gibt es, welche ließen sich umsetzen? Ihre Vision: „Der Boden der Zukunft bedient individuelle menschliche Bedürfnisse.“ Der Boden erkennt, was uns gerade guttut und passt unsere Umgebung daran an, individuell und ganz von alleine. Möglich wären die Raumtemperatur, die Weichheit oder Schwingungen. Eine realisierbare Philosophie des dienenden Bodens?
Fotos: Uzin Utz (4)
Weitere Informationen: www.die-zukunft-unter-uns.de