„Showrooming“ heißt ein Phänomen, das dem stationären Handel in letzter Zeit Verdruss bereitet: Die Kunden bummeln durch die Läden, lassen sich am POS inspirieren und von geschultem Fachpersonal informieren, jedoch ohne zu kaufen. Sie nutzen das stationäre Geschäft als eine Art Showroom und tätigen den eigentlichen Kauf daheim im E-Commerce.
Angesichts wachsender digitaler Einkaufsmöglichkeiten und schwindender Kundenloyalität wird es zur Herausforderung, den Kunden am POS emotional zu binden. Eine Visual Merchandising-Abteilung, die diese Herausforderung meistert, muss in einem Unternehmen strategisch und zentral positioniert sein. So lautete die Kernbotschaft der Handelsexpertin Rosie Hutner, die im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Shop Academy 2013“ von Umdasch Shopfitting über zukunftsweisende Strategien der visuellen Verkaufsförderung informierte.
Bauchwirkung
Was nicht „im Bauch“ ankommt, kommt überhaupt nicht an, so die These Hutners. Geplante Bedarfskäufe machen im stationären Handel laut aktuellen Studien nur noch 30 Prozent aller Kaufentscheidungen aus. Spontane Kaufentscheidungen bilden mit 70 Prozent den weitaus größeren Anteil. Um den stationären Handel als Bastion für den Impulskauf zu verteidigen und womöglich auszubauen, muss das inspirierende Moment am POS stärker herausgehoben werden, so Rosie Hutner. Derzeit würden von den Kunden insbesondere idealistisch wirkende Konzepte positiv aufgenommen. Detailreichtum wird honoriert.
Storytelling ist eine der aktuell erfolgreichsten Formen der Kundenansprache. Der Erlebnis- Faktor spielt stets eine große Rolle. Einfache, auf den Punkt gebrachte Konzepte überzeugen auch. Und das Customizing, das den Konsumenten am POS animiert, ein Produkt nach eigenen Vorstellungen zu kreieren, sei, so Hutner, weiter auf dem Vormarsch. Zu häufig liegen der Anordnung der Warengruppen und der Gestaltung der Flächen pragmatische Erwägungen oder bürokratischen Sachzwänge zugrunde, zu selten wird an die sinnliche Wahrnehmung der Konsumenten gedacht, so Hutners Kritik. Sie rät, Entscheidungen aus der Sicht des Kunden heraus zu treffen: „Prüfen Sie, was Sie selber in einem Laden zum Spontankäufer werden lässt!“ Wie ticken Menschen? Für gängige Schubladen zu sperrig geworden, macht der Konsument auch der klassischen Marktforschung das Leben schwer. Die bekannten Typologien greifen nicht mehr. Rosie Hutner empfiehlt, den veränderten Handlungsmustern der Kunden mithilfe einer „Limbischen Karte“ auf den Grund zu gehen. Das „Limbische System“, entwickelt von dem Münchner Beratungsunternehmen Gruppe Nymphenburg, kombiniert Erkenntnisse aus Neurologie, Psychologie, Soziologie und klassischer Marktforschung mit dem Ziel, die Wertesysteme verschiedener Kundentypen aufzudecken.
Männer wollen Dominanz
Unterschiedliche Kunden reagieren am POS nämlich auf ganz unterschiedliche Reize. Frauen zum Beispiel ordnet man stärker den Bereichen Stimulanz, also der Lust auf Neues, Genuss und Fantasie zu. Bei Männern spielt die Dominanz eine größere Rolle, sie sprechen eher auf Werte wie Status, Ehrgeiz, Freiheit und Rebellion an. Mit Kenntnis der Kundenmotivation, so Hutner, lassen sich im operativen Visual Merchandising die für die jeweilige Zielgruppe geeigneten „Trigger“ gezielter einsetzen. Das Visual Merchandising darf niemals als isolierte Disziplin behandelt werden, so Hutner. 360-Grad-Konzepte reichen von der Außendarstellung über die Fenster und den Eingangsbereich bis hin zu den Produktwelten auf der Fläche und inkludieren auch Service, Beratung und die Kommunikation der Mitarbeiter mit den Kunden.
Ein „roter Faden“ sollte die Kunden hin zum Geschäft, durchs Geschäft an die Ware bis hin zur Kasse führen und auch den letzten Eindruck, also die Art der Verabschiedung des Kunden, nicht außer Acht lassen. Unverzichtbar, so Hutner, ist heute ein zeitgemäßer Multimedia-Plan, der nicht nur den Onlinestore in das POS-Konzept integriert, sondern die Vielfalt mobiler und virtueller Technologien als Spielwiese für das Visual Merchandising nutzt. Ein ganzheitlicher Marketing-Mix verzahnt die „Schnittstelle Visual Merchandising“ intern mit allen Unternehmensprozessen. Denn, so Hutner: „Visual Merchandising betrifft in einem Unternehmen alle, vom Hausmeister bis zur Geschäftsführung.“
Der Kunde will angemacht werden
Mit ihrem Unternehmen Area Management betreuen Rosie und Alexander Hutner und ihr Team das Visual Merchandising von Mode- und Handelsmarken wie P&C, Schöffel und s.Oliver. Drei Fragen an Rosie Hutner.
Auf dem Weg zur Zukunftsfähigkeit: Wo genau befindet sich Ihrer Meinung nach das Visual Merchandising in deutschen Handelshäusern?
Das ist unterschiedlich. Wir stellen fest, dass es einige sehr aktive Händler gibt. Diese stellen ihre Teams auf, nehmen Visual Merchandising in den Management-Prozess hinein, machen ein regelmäßiges Controlling, entwickeln Konzepte, setzen sie um – und vor allem wird es von der Unternehmensleitung gelebt. Sie investieren in Trainings, analysieren die Kompetenzen ihrer Mitarbeiter und nehmen das Visual Merchandising in die Fördergespräche auf.
Welches sind die gröbsten Fehler?
Der größte Fehler ist, nicht auf den Kunden zu schauen. Den Kunden interessiert die Einkäufer- oder Abteilungsdenke nicht – er will einen für ihn logischen Warenaufbau. Er will angemacht werden. Er will mit allen Sinnen einkaufen. Davon sind wir leider vielfach noch weit entfernt.
Wie kann konkret Abhilfe geschaffen werden? Was kann zum Beispiel eine Visual Merchandiserin inhouse tun, um die Wirkung ihres Tuns zu erhöhen?
Ganz ehrlich? Wenn die Chefetage nicht will, braucht sie eigentlich einen anderen Chef. Visual Merchandising fängt in der Unternehmensspitze an. Es betrifft das Unternehmen immer in Gänze. Nur wenn alle Rädchen ineinandergreifen, kann das Visual Merchandising in einem Unternehmen erfolgreich sein.