Durchschnittlich 44 Prozent des gesamten Stromverbrauchs eines Lebensmittelmarktes werden für die Erzeugung der Kälteenergie aufgewendet. Hinzu kommen Energiekosten für Raumerwärmung, Lüftung und Warmwassererzeugung. In Zeiten steigender Preise für Energie gilt es im Lebensmittelhandel daher als Ärgernis, dass bei konventioneller Technologie die bei der ganzjährig erforderlichen Lebensmittelkühlung anfallende Abwärme zu einem großen Teil an die Außenluft abgegeben wird. Folgerichtig rücken Konzepte in den Fokus, die die bei der Kälteerzeugung entstehende Abwärme zur Beheizung des Gebäudes nutzen. So muss im Idealfall nur an wenigen sehr kalten Tagen eine zusätzliche Wärmequelle zur Unterstützung zugeschaltet werden. „Allerdings steht in der Jahresbilanz meist weitaus mehr Abwärme zur Verfügung, als zur Beheizung benötigt wird. Deshalb sind technische Lösungen gefragt, die über bisherige Ansätze hinausgehen und die überschüssige Wärme speichern können“, sagt Fritz Nüßle, Geschäftsführer der Zent-Frenger Gesellschaft für Gebäudetechnik, Heppenheim. Eine Heizungsanlage mit fossilen Brennstoffen ist bei einer solchen Lösung nicht mehr erforderlich.
Erstmals wurde in der im vergangenen November neu eröffneten Edeka-Filiale Reinhardt in Großhansdorf/Schleswig-Holstein (Architektur: Ohlow/Lübeck; Gesamtfläche: 1.881 qm; weitere 1.400 qm vermietet) ein sogenannter Latent-Wärmespeicher eingesetzt, der diesen Anforderungen entspricht. Nüßle erläutert: „Die aus der Kälteproduktion anfallende Wärme wird hier temporär gespeichert und damit bevorratet. Dabei handelt es sich um ein Konzept, das auch im internationalen Vergleich eine Neuheit darstellt.“ Als eine Art Premiere wird hier als zusätzliche Energiequelle ein unterirdischer Latent-Energiespeicher eingesetzt. Dieser besteht aus einem wasserundurchlässigen geschlossenen Spezialbetonbehälter, der im Gelände vor dem Gebäude der Edeka-Filiale im Erdreich verbaut wurde. Das Bruttovolumen des Speichers beträgt 175 Kubikmeter (175.000 Liter), das Nutzvolumen liegt bei 150 Kubikmetern. Mit der Abwärme aus der Gewerbekälteanlage wird im Herbst das sich im Speicher befindliche Wasser auf eine Temperatur von ca. 35° C aufgeheizt. Die eigentliche Energiequelle sind also die Kühlmöbel. Sogar an milden Wintertagen kann, falls Wärmeüberschuss besteht, dieser verlustarm im Energiespeicher gespeichert werden.
Wasser als Speicher-Medium
Der Wärmeintrag bzw. -entzug erfolgt über Kunststoffrohrleitungen, die spiralförmig im Speicher eingebaut sind. Im Winter, also bei hohem Heizwärmebedarf, entzieht die Kälte-Wärme-Verbundanlage dem Energiespeicher die zusätzlich für die Heizung benötigte Wärmeenergie. Doch damit nicht genug: Da der Speicherinhalt im Winterbetrieb teilweise gefriert, kann die Vereisungs-Energie in den Sommermonaten ohne zusätzlichen Energieaugwand als Kühlenergie für die Raumkühlung genutzt werden. Die Kühlung des Marktes erfolgt über das Bodenheizungssystem, das im Winter zur Heizung genutzt wird. Dazu wird die „latente“ Energie des im Winter gebildeten Eises genutzt. „Beim Wechsel des Aggregatzustandes des Speicherinhaltes von flüssig in fest wird soviel Energie freigesetzt wie bei der Abkühlung von 80 Grad heißem Wasser auf null Grad“, beschreibt Nüßle den Prozess. „Aus diesem Grund ist es möglich, mit einem verhältnismäßig kleinen Speicher eine große Energiemenge zu bevorraten.“ Weitere Details: Das Konzept beinhaltet eine Kälte-Wärme-Verbundanlage zur Erzeugung und Verteilung von Kälte- und Wärmeenergie für sämtliche Verbraucher der Immobilie, einschließlich der Kühlmöbel. Wird von den Wärmeverbrauchern im Gebäude mehr Wärme verlangt, als aus der Kälteerzeugung angeboten wird, so kann dem Wasser im Latentspeicher die Wärme entzogen werden und über ein sogenanntes Wärmeträgerfluid dem Heizungssystem zur Verfügung gestellt werden. „Eine zusätzliche Wärmepumpe ist nicht erforderlich“, betont Nüßle. Die als Kaskade geschaltete Gewerbekälteanlage liefert die Abwärme zur weiteren Verwendung mit der gewünschten Temperatur an den Heizungspufferspeicher, von dem aus die Wärmeverbraucher im Handelsbereich und den Mietflächen versorgt werden. Bei den Wärmeverbrauchern handelt es sich um:
- Fußbodenheizung in den Mietbereichen
- Industriefußbodenheizung im Markt-Bereich
- Türluftschleier
- Raumlufttechnische Anlagen
- Trinkwarmwassererzeugung
Die in Großhansdorf zum Einsatz kommende Anlage dient der Vollversorgung der Gewerbeimmobilie mit Wärme und Kälteenergie mit ganzheitlicher Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik. „Das Wärme- und Kältemanagement kann per Datenfernübertragung über das integrierte Monitoringsystem ständig bewertet und optimiert werden“, erläutert Nüßle. Die Abwärme aus der Kälteerzeugung wird zu 100 Prozent direkt verwendet oder in den Latent-Energiespeicher ausgelagert. Die Temperierung des Marktes erfolgt über die thermoaktive Bodenplatte mit integrierten Kunststoffrohrschlangen, die ihrerseits zusätzlich Wärme speichern kann. Die vermieteten Einheiten haben eine Niedertemperatur-Fußbodenheizung.
Fußbodenheizung wärmt und kühlt
Die bislang genutzten Standardkonzepte der Wärme-Kältenutzung sind, was die Investitionen angeht, die einfachste und preisgünstigste Technik. Auch sind bei der Latent-Energiespeicher-Technologie in der Pilotphase die Aufwendungen höher als bei Standardlösungen. Auch ist es laut Nüßle realistisch anzunehmen, dass „die erste Anlage im Betrieb fachlich begleitet werden muss, um die optimalen Betriebsparameter zu identifizieren und erforderliche Nachjustierungen vornehmen zu können.“ Doch mit Blick auf die jährlichen Energieverbrauchskosten ändert sich das Kosten-Nutzen-Kalkül. Denn für die Heizwärmeerzeugung sind bei den bislang bekannten Konzepten fossile Energieträger oder ein Fernwärmeanschluss erforderlich, obwohl genügend Abwärme aus der Gewerbekälte zur Verfügung stünde. Dadurch werden auch unnötige CO2-Emissionen verursacht. Letztlich ist die eisspeichergestützte Kälte-Wärme-Verbundtechnik deshalb die betriebswirtschaftlich effektivere, umweltschonendere und eine besonders vielseitig einsetzbare Lösung. Nüßle: „Die bei Edeka in Großhansdorf zum Einsatz kommende Variante nutzt die Abwärmeenergie sogar noch effektiver als eine Geothermieanlage. Sie rechnet sich insbesondere dann, wenn der Investor zugleich Marktbetreiber ist.“ Die Vorteile im Einzelnen:
- Jährliche Einsparung an Energieverbrauchskosten in Höhe von 40-50 Prozent im Vergleich zu Standardlösungen
- Die Vergütung der an die Mieter gelieferten Wärmeenergie entlastet die Betriebskostenrechnung des Marktes
- Amortisation nach 10 Jahren (bei Berücksichtigung einer Verzinsung des zusätzlich erforderlichen Kapitals und moderater Energiepreissteigerungen)
- Reduzierung der CO2-Emissionen um 110 Tonnen jährlich
- Das Konzept lässt sich auch an Standorten mit problematischen Untergrundverhältnissen realisieren
- Eine separate Heizwärmeerzeugungsanlage ist nicht mehr erforderlich
- Das gespeicherte Kühlpotenzial macht eine effektive Kälteerzeugung möglich
- Der Energiespeicher kann mit weiteren thermischen Quellen wie Solarthermie oder Abwärmequellen gekoppelt werden
- Das Konzept erfüllt die künftigen Standards der gesetzlichen Energieeinspar-Verordnung sowie gesetzliche Auflagen zur Reduzierung nichterneuerbarer Energien
„Außerdem lassen sich beim Einsatz eines Latent-Energiespeichers wegen der effizienten Abwärmenutzung die Investitionskosten für hohe Wärmedämmung am Gebäude reduzieren“, meint Nüßle. Hinzu kommt das fernbedienbare Monitoringsystem, das Betriebsdaten für eine weitere Optimierung der Betriebsabläufe und zur Reduzierung des Energieverbrauchs liefert. „Das Konzept bedient sich einer langlebigen Technik, die in Bezug auf den Energiespeicher nahezu frei von Verschleiß und standardisierbar ist und praktisch überall eingesetzt werden kann“, so die Einschätzung von Nüßle. Neben den klassischen Lebensmittelmärkten eignet sich eine solche Lösung auch gut für gekühlte Lagerhäuser, die permanent mit der gleichen Temperatur arbeiten, um die Lebensmittelkühlkette aufrechtzuerhalten.
Einfach und ortsunabhängig machbar
Erstmals wird in Großhansdorf im Lebensmittelhandel Wasser als Medium zur Speicherung von Abwärme genutzt. Fragen an Thilo Wierzock, Leiter der Bauabteilung der Edeka Nord, Neumünster.
Was waren die zentralen Motive bei der Entscheidung für das Latentspeicherkonzept?
Bei jeder Kälteerzeugung fällt Abwärme an. Bei Edeka Nord wurde diese bisher jedoch ausschließlich für die zentrale Trinkwassererwärmung und/oder zur direkten Nutzung für die Zulufterwärmung in den zentralen Lüftungsanlagen von Lebensmitteleinzelhandels-Standorten genutzt, und das auch nicht generell. Wir haben deshalb schon vor vier Jahren begonnen, uns mit dem Thema der Speicherung von Abwärmeenergie, die insbesondere im Sommer bei der Kälteerzeugung entsteht, zu beschäftigen. Die Idee, Wasser als Speichermedium zu nutzen, wurde durch unabhängige Plausibilitätsberechnungen bestätigt. Außerdem hat ein Latentspeicher, etwa im Gegensatz zur Geothermie, den Vorteil, dass nicht jeder Standort auf Machbarkeit untersucht werden muss. Es handelt sich vielmehr um eine Lösung, die relativ einfach und ortsunabhängig multiplizierbar ist. Außerdem gehen wir davon aus, dass die an einigen Standorten von Edeka-Märkten mit Photovoltaik-Anlagen produzierte saubere und sichere Elektroenergie sich künftig in Kombination mit der Kälte-Wärme-Verbundanlage und Latentspeicher ebenfalls speichern lässt.
Das Latentspeicherkonzept wurde so im Lebensmittelhandel noch nicht angewendet. Gab und gibt es Lernprozesse?
Permanent. Wir sind natürlich sehr gespannt, was die Anlage leistet. Das Betriebsmonitoring erfolgt durch unabhängige Partner. Diese können die Daten, die Mess- und Regelsensoren in den einzelnen Anlagenkomponenten liefern, tagesgenau nachvollziehen. Auf diese Weise können wir bei kritischen Abweichungen eingreifen. Nach sechs bis zwölf Monaten werden wir eine erste Zwischenbilanz ziehen. Außerdem dienen die erhobenen Daten der internen Verteilung der Betriebskosten auf die einzelnen Kostenstellen und der Gebäudebetriebskostenabrechnung.
Gibt es Pläne, die Latentspeicherlösung in weiteren neuen Märkten der Edeka Nord einzusetzen?
Definitiv ja. Auch unsere Photovoltaik-Anlagen werden wir ausbauen und wie beschrieben mit einem Latentspeichersystem kombinieren.
Lassen sich bestehende Filialen auf diese Lösung umrüsten?
Das ist durchaus denkbar. Technisch dürfte es kein Problem darstellen, die Kälteanlagen auszutauschen und ein Speicherpotenzial im Gebäude oder im Grundstück unterzubringen. Allerdings macht der Austausch erst bei einer umfassenden Gebäudesanierung Sinn, da man das Heizverteilernetz auf ein Niedertemperatur-Anlagensystem umstellen muss.