Mit dem „Müssen müssen“ ist das für Besucher des Einzelhandels so eine Sache. Längst nicht jedes Geschäft verfügt über Kundentoiletten. Auch der Gang zum Personal-WC ist mitunter verwehrt, zum Beispiel mit dem berechtigten Hinweis auf lebensmittelhygienische Vorgaben. In den meisten Landesbau- und Verkaufsstättenverordnungen der Bundesländer findet sich kein Hinweis, dass Kunden-WCs grundsätzlich oder ab einer bestimmten Größe vorzuhalten sind. (Eine Übersicht ist bei der Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution unter www.bghw.de einzusehen.) Viele Händler verzichten daher darauf, diese freiwillige Leistung zu erbringen. Herstellungs- und Instandhaltungskosten, vor allem aber der Reinhaltungsaufwand halten sie davon ab. Denn klar ist: Wenn man Toiletten anbietet, dann müssen sie auch gepflegt und sauber sein – kein leichtes Unterfangen. Hinzu kommt die Sorge, dass die Einrichtungen öffentlich und nicht nur von Kunden genutzt werden könnten. Wird hier zu kurz gedacht?
Werbeguru Jean-Remy von Matt bezeichnete Blogs und Foren einst als „Klowände des Internets“. Wenn man sich an diesen „Klowänden“ einmal zum Stichwort Kundentoiletten umsieht, wird schnell deutlich, dass dies für viele Konsumenten ein echtes Thema ist. Mannigfaltig wird im World Wide Web von dringenden Bedürfnissen berichtet, die am Einkaufsort nicht erledigt werden konnten. Selbst von dem ein oder anderen Malheur kleiner Kinder ist die Rede, bei dem tatsächlich etwas in die Hose ging. Viele Kunden wären demnach in des Wortes doppelter Bedeutung erleichtert, wenn es überhaupt ein stilles Örtchen gäbe – die Gestaltung ist da zunächst zweitrangig. „Stadtführer für Notfälle“ und die iPhone-App „Der Toilettenfinder“ künden ebenfalls vom Bedarf. Der Autor Dr. Christian Mikunda (siehe Interview) ist überzeugt, dass das Thema im Handel unterschätzt wird. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer zunehmend mobiler und auch älter werdenden Gesellschaft dürfte es weiter an Bedeutung gewinnen. Denn: Mit Druck auf der Blase stellt sich kein Einkaufserlebnis ein.
Die Restroom Association in Singapur, gleichzeitig Geschäftsstelle des Welttoilettenverbands (ja, diesen gibt es tatsächlich!), schreibt: „Schlechte Toiletten halten Besucher und Touristen fern, aber auch Investoren, und schaffen außerdem ein negatives Marken-Image.“ Ingrid Wenz-Gahler formuliert es in ihrem Buch „Flush! Modernes Toiletten-Design“ so: „Auch oder gerade WC-Räume zeigen die Wertschätzung, die ihren Benutzern entgegengebracht wird.“ Sie sieht in ihnen Visitenkarten eines Unternehmens, die ähnlich wie Schaufenster einen Eindruck bei den Menschen hinterlassen.
Erlebnis-Toiletten
Der Outdoorsport-Filialist Globetrotter jedenfalls möchte in positiver Hinsicht zum Stadtgespräch werden und Kunden auf sich aufmerksam machen. Erlebnis-Toiletten sind inzwischen fester Bestandteil des Store-Konzepts. Immer neue Varianten an den verschiedenen Standorten sorgen für Überraschung. In Köln sind es ein rustikales Schweden-Klo, bei dem ein Elch durchs Fenster schaut und ein Kutterklo mit virtuellem Seegang. In München findet sich der erstaunte Kunde in einer original Flugzeugtoilette oder in einer Toilette der guten alten Bundesbahn wieder. In Dresden empfängt den Kunden eine stilechte 70er-Jahre-Wohnwagentoilette mit Blick auf den Campingplatz.
„Produkte verkaufen sich immer schlechter von allein, darum muss ein Erlebnis um den Einkauf herum inszeniert werden. Außerdem soll Einkaufen Spaß machen. Glückliche Kunden geben viel lieber Geld aus“, ist auch Wolfgang Gruschwitz, Geschäftsführer des Münchner Designund Realisierungsbüros Gruschwitz, überzeugt. „Die Kundentoilette darf dabei keineswegs vernachlässigt werden“, so sein Credo, das er u.a. beim Umbau des Traditions-Möbelhauses Kemner Home Company in Bad Bederkesa umgesetzt hat. Fototapeten mit Kühen an den Wänden sind hier der Hingucker
Der bereits erwähnte Welttoilettenverband (www.worldtoilet.org) stellt folgende Anforderungen an zeitgemäße WC-Anlagen: „eine ästhetische und unverwechselbare Architektur, großzügige Räume mit viel natürlichem und künstlichem Licht, eine gute Belüftung durch eine ausreichende Raumhöhe und zusätzliche Ventilation, pflegeleichte Materialien, Zugang für Behinderte, Babywickelplätze, Müll- und Hygienebehälter, Spiegel oder auch Sitze.“
Durch bessere Wegeführung keine Wartezeiten und Engstellen.
Stefan MauritzVorbild Nachtclubs
Zu den Vorreitern ansprechend gestalteter Kundentoiletten zählen gehobene Hotels und Gastronomiebetriebe. Hier kann der Einzelhandel Inspirationen sammeln. Ein Beispiel ist das neu gestaltete P1, Münchens legendärer Nachtclub, der von dem Münchner Architekten Stefan Mauritz (Mauritz Design) entworfen wurde. Den Eingangsbereich zu den insgesamt sehr großzügig angelegten und im Rahmen des Umbaus in der Fläche verdoppelten WC-Anlagen bildet ein „Unisex-Areal“ als Kommunikationszone und Treffpunkt. Erst danach trennen sich die Wege für Damen und Herren. „Durch eine bessere Wegeführung in Form eines Rundlaufs durch die Sanitärbereiche kommt es zu keinen Wartezeiten und Engstellen mehr“, berichtet Stefan Mauritz. Hygieneanforderungen wurde er durch möglichst wenig Berührungspunkte gerecht, Wasserhähne beispielsweise sind mit Sensoren ausgestattet.
Vor allem aber ist es die Erlebnisgestaltung, mit der die Toiletten im P1 für Furore sorgen. Männer können sich im „Pieselwald“ erleichtern. Die Pissoirs bestehen aus echten Eichenstämmen, an denen sich jeweils zwei Edelstahl-Urinale befinden. Auch bei den Damen gibt es Baumstämme. Neben den Waschbecken platziert, können auf ihnen Handtaschen abgelegt werden. Die Spiegel sind so beleuchtet, dass verschattungsfreies Schminken möglich ist. Die Kabinen der Damentoiletten sind mit Schiebefenstern verbunden, die von beiden Seiten geöffnet werden können, „wenn Freundinnen eine Kommunikation am Häusel“ führen möchten.
Barrierefreie WCs befinden sich nicht separat, sondern sind jeweils Bestandteil der Damen- und der Herren-Toilettenanlage. Die Wände und Decken dieser WCs wurden von einem Künstler handbemalt. Es gibt auch eine VIP-Toilette im P1. Deren Boden und Wände sind mit blauen Schwimmbadfliesen gekachelt, an der Decke ist ein Schwimmer zu sehen. „Man hat das Gefühl, mal einen Moment abzutauchen“, so die Intention von Designer Stefan Mauritz. Schwimm-Startblöcke dienen als Sitzgelegenheit. Nicht erst die Damen im P1, schon die Römer verrichteten ihre Notdurft in geselliger Runde und besprachen dabei wichtige Geschäfte. „Ein Geschäft machen“ – diesen Ausdruck kennt man bis heute. Im Einzelhandel hat er rund um das Thema Kundentoiletten in doppelter Hinsicht Relevanz.
Fotos: Globetrotter (3), Mauritz Design (2), Gruschwitz (1)
Foto Dr. Mikunda: Klaus Vyhnalek
Unterschätztes Thema
Dr. Christian Mikunda, Autor und Dozent für Kommunikation und Entertainment, Wien, über die Bedeutung von Kunden-WCs für den Einzelhandel.
Wie wichtig sind Kundentoiletten?
Der Einzelhandel ist schon seit geraumer Zeit Teil der Freizeitindustrie. Als Konsequenz daraus werden Verkaufsorte immer mehr zu Aufenthaltsorten. Dazu gehört eine entsprechende Infrastruktur. Kundentoiletten sind also ein wichtiges und aus meiner Sicht unterschätztes Thema im Handel. Dramaturgisch gesehen sollten sie Bestandteil des Convenience-Entertainments sein, der Kunst, Probleme rechtzeitig zu antizipieren und im Interesse der Kunden den Sand aus dem Getriebe zu nehmen.
Ab welcher Geschäftsgröße sollten WCs unbedingt vorhanden sein?
Die Größe des Geschäfts sollte keine Rolle spielen. Wenn ich möchte, dass mein Store von den Kunden als Aufenthaltsort wahrgenommen wird, ist eine Kundentoilette immer sinnvoll. Ein kleiner Concept-Store, der uns zum Stöbern und Verweilen einladen möchte, sollte genauso eine Kundentoilette vorhalten wie die große Filiale einer Elektronik-Kette. Kundentoiletten sind ein Angebot, das uns Verbrauchern signalisiert, dass der Ort, an dem wir uns befinden, nicht nur eine Verkaufsmaschine sein will.
Wie wichtig ist es, dass WC-Anlagen heute mehr sind als cleane, nüchterne Funktionsräume?
Dem Kunden einen gut gestalteten Rückzugsraum anzubieten, an dem eventuelle Kaufentscheidungen abseits vom Konsumdruck getroffen werden können, ist sogar von einem rein verkaufsorientierten Standpunkt aus betrachtet von Nutzen. Darüber hinaus ist das konsequente Inszenieren nicht nur des eigentlichen Verkaufsraums, sondern auch des Dazwischens – wie Kundentoilette oder Parkplätze – ein zusätzliches emotionales Geschenk, das der Einzelhandel uns Kunden machen kann.