Barrierefreiheit: Handel steht in der Pflicht | stores+shops

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Händler müssen sich auf ein neues Gesetz zur Stärkung der Barrierefreiheit einstellen, das in wenigen Monaten in Kraft tritt.
Foto: Renata Hamuda/stock.adobe.com

Barrierefreiheit: Handel steht in der Pflicht

Ein neues Gesetz zur Barrierefreiheit hat zum Ziel, Menschen mit Behinderungen den Zugang zu Produkten und Dienstleistungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie zu erleichtern. Die Verordnung betrifft auch den Einzelhandel: Die Bezahlung an den Self-Checkoutkassen und der Kauf im Onlineshop müssen ab dem 28. Juni 2025 barrierefrei sein.

Im Webshop einkaufen, Arzttermine über die App buchen, Burger-Menüs über Bestellterminals ordern – die Nutzung von Onlinediensten und Self-Service-Automaten ist für die breite Mehrheit der Bevölkerung heute selbstverständlich. Menschen mit Einschränkungen können diese Services allerdings oft nicht ohne fremde Hilfe in Anspruch nehmen oder nur dann, wenn barrierefreie Angebote möglich sind.

Aktuell werden auf vielen Ebenen Initiativen ergriffen, um Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit zu bieten, in gleichem Umfang wie nicht Behinderte an der Gesellschaft teilzuhaben. Ein Beispiel ist die EU-Directive 2019/882, die den barrierefreien Zugang zu Produkten und Dienstleistungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie sicherstellen will. Welche Produkte und Dienstleistungen darunter genau fallen, ist in der Europäischen Norm 301549 festgelegt. Diese bildet die rechtliche Basis für das sogenannte Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das von der Bundesregierung 2021 eingeführt wurde und am 28. Juni 2025 in Kraft treten wird.

Skizze eines mit Rollstuhl zugänglichen Checkouts

Skizze eines mit Rollstuhl zugänglichen Checkouts
Foto: Itab Germany GmbH

Betroffen von der BFSG-Verordnung sind alle Hardware-Systeme für Universalrechner für Verbraucher:innen einschließlich der für Hardware-Systeme bestimmten Betriebssysteme sowie IKT-Dienstleistungen wie Webpages. In der BFSGV werden u. a. verschiedene „Selbstbedienungsterminals“ detailliert aufgeführt: stationäre Geräte wie Zahlungsterminals, Geldautomaten, Fahrausweisautomaten, Check-in-Automaten und interaktive SB-Terminals zur Informationsbereitstellung. SB-Kassen und Self-Checkout-Kassen werden in der Verordnung nicht explizit genannt. Um hier für den Handel Rechtssicherheit zu schaffen, hat der Handelsverband Deutschland (HDE) eine Anfrage an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gerichtet. Im Antwortschreiben an den HDE stellt das BMAS fest, dass die Dienstleistung „Waren kaufen“ nicht vom BFSG erfasst ist. Daher sei das Gesetz nicht auf Self-Checkouts anwendbar, wohl aber auf die Zahlungsterminals, wenn diese extern mit dem Self-Checkout verbunden sind.

EFT-Terminals betroffen

Die Hersteller von Payment-Terminals sind also gefordert, ihre Unattended-Produkte im Sortiment künftig BFSG-kompatibel zu gestalten. „Die wichtigste Vorgabe der BFSG-Verordnung ist die Bedienung über zwei sensorische Kanäle“, sagt Michael Trinks, Head of DACH Region bei Verifone, einem marktführenden Anbieter von Payment-Terminals. Das neue Verifone-Zahlungsterminal VX 700 ist mit Fulltouch-Display ausgestattet und verfügt über eine Navigationsfunktion, die über einen Lautsprecherausgang akustisch durch die Anwendung beim Bezahlen führt. Alle Unattended-Zahlungsterminals, die ab dem 28. Juni 2025 in Verkehr gebracht werden, müssen BFSG-compliant sein. Für die im Markt befindlichen Terminals besteht ein Bestandsschutz bis Juni 2030.

Eingeschränkte Menschen sind nicht nur Personen, die im Rollstuhl sitzen. In der BFSG-Verordnung werden insgesamt zehn Formen von Behinderungen betrachtet, darunter kein oder eingeschränktes Seh-, Hör- und Sprachvermögen, Farbenblindheit oder eingeschränkte Auffassungsgabe. Um bestimmte Beeinträchtigungen zu kompensieren, werden in der Umsetzungsverordnung alternative Betriebsarten beschrieben und gefordert. Für die Anbieter der vom Gesetz betroffenen Selbstbedienungsterminals resultiert daraus, dass neben einer rollstuhlfahrergerechten Gestaltung noch zahlreiche andere technische Hilfsmittel („assistive Technologien“) für eine barrierefreie Nutzung erforderlich sind. Beispielsweise müssen die SB-Terminals über eine Sprachausgabe verfügen. Soweit Tasten als Bedienelemente verwendet werden, müssen diese mit ausreichendem Kontrast und taktilem Feedback ausgestattet sein.

Auch wenn der Gesetzgeber aktuell für Self-Checkout-Kassen keine „Barrierefreiheitsfunktionen“ einfordert, so muss der Zugang für Menschen im Rollstuhl zu den Bezahlterminals am SCO sichergestellt sein, da diese von der Verordnung betroffen sind. Für Dr. Rainer Eckert, Technical Director beim SCO-Hersteller Itab Germany GmbH ist es eine Sache des gesunden Menschenverstandes, „dass nicht nur das Bezahlterminal barrierefrei bedienbar sein muss, sondern Gleiches auch für den am POS-System des SCOs anlaufenden Warenerfassungsvorgang gelten sollte“. Neben einer rein ergonomisch orientierten SCO-Gestaltung würde damit auch eine Reihe von Hard- und Software-Komponenten erforderlich, um die Bedienung des POS-Systems für Menschen mit Einschränkungen zu erleichtern.

BFSG-kompatibles Payment-Terminal UX 700 von Verifone. Menschen mit Sehbehinderungen werden über eine Navigatorfunktion akustisch durch die Anwendung beim Bezahlen geführt

BFSG-kompatibles Payment-Terminal UX 700 von Verifone. Menschen mit Sehbehinderungen werden über eine Navigatorfunktion akustisch durch die Anwendung beim Bezahlen geführt
Foto: Verifone

Itab Germany ist der Ansicht, dass die EU-Direktive mittelfristig einen Einfluss auf die Gestaltung von Self-Checkouts haben werden – auch wenn der nationale Gesetzgeber die BFSG-Konformität des SCO nicht explizit einfordert. Daher befasst man sich bereits intensiv mit barrierefreien SCOs und werksseitigen „Barrierefreiheits-Optimierungen“ für bestehende SCO-Produktfamilien. Auch beim niederländischen SCO-Hersteller Pan Oston werden Versionen mit Anpassungen entwickelt, die die Nutzung für Menschen mit Behinderungen erleichtern sollen. Um beispielsweise die Zugänglichkeit von SCO-Lösungen für Menschen mit Sehbehinderungen zu verbessern, werden auf Kundenwunsch auch Alternativen zur Touchscreen-Bedienung über physische Tasten und Audionavigation angeboten.

BFSG und Online-Handel

EU-Direktive und BFSG-Verordnung regeln nicht nur den barrierefreien Zugang zu Produkten im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik, sondern auch für Onlinedienstleistungen im Sinne von Webpages. Das bedeutet für den Onlinehandel, dass die Beschaffung einschließlich Bezahlung im Webshop barrierefrei möglich sein muss. Gerade für ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen ist der Onlinehandel sehr wichtig, weil sie dort selbständig einkaufen können, ohne Treppen oder enge Gänge. „30 Prozent der Menschen in Deutschland ist bereits älter als 60 Jahre. Im Onlinehandel ist diese Altersgruppe sehr aktiv und etwas überrepräsentiert“, weiß Martin Groß-Albenhausen, stellvertretender Geschäftsführer beim Bundesverband E-Commerce und Versandhandel. Mögliche Einschränkungen bestehen hier zum Beispiel für Menschen mit Sehbehinderungen. „Shopbetreiber sollten sich nicht viel Zeit mit der Umsetzung lassen“, rät Groß-Albenhausen. „Wer erst kurz vor Schluss die nötigen Kompetenzen aufbaut oder externe Hilfe sucht, läuft Gefahr, dass viele Compliance- und IT-Beauftragte ausgelastet oder vergeben sind.“

Für Onlineshopbetreiber bedeutet die BFSG-Verordnung, dass die gesamte Webseitensteuerung barrierefrei sein muss, einschließlich der Apps auf dem Smartphone. Der Kundenservice muss darüber Auskunft geben können, wie der Onlineshop mit assistiven Technologien bedient werden kann.

 

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