Künstliche Intelligenz ist nichts anderes als bessere Software. Insofern sind alle Prozesse, bei denen Software eingesetzt wird, potenzielle Kandidaten für eine Optimierung durch KI. So hat CRM-Spezialist Salesforce zum Beispiel vier strategische Handlungsfelder ausgemacht: Retail Media, die Vermeidung von Schwund und Diebstahl, das Fördern der Produktivität und Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden sowie Facility Management und insbesondere das Finden neuer Standorte. In all diesen Prozessen steckt inzwischen Künstliche Intelligenz. Nicht immer ist es die zurzeit gehypte kreative Seite, die generative KI. Oft geht es auch um Business Intelligence, um das Verarbeiten großer Datenmengen, um das Erkennen von Mustern: Ein Bereich der KI, der schon seit 50 Jahren entwickelt wird, und dessen Fortschritte eher evolutionär als revolutionär sind.
Klug wie Einstein?
Beispiel Retail Media. Bis zu 100 Mrd. Dollar Umsatz wird dieses Segment im Jahr 2026 allein in den USA erwirtschaften, meint die Boston Consulting Group. Nächstes Jahr soll es in der Summe der ausgegebenen Werbebudgets den jahrzehntelang führenden Kanal TV überflügeln. Jüngst hat Salesforce angekündigt, Händlern den „Einstein Media Planer“ zur Verfügung zu stellen. „Die wenigsten Händler verfügen über Media-Expertise,” erläutert Gordon Evans, als Vizepräsident des Unternehmens zuständig für Kunden, die mit Konsumgütern handeln. Das neue Werkzeug nutzt die Salesforce KI dafür, unterschiedlichste Daten auszuwerten, zum Beispiel welche Kundengruppe sich wann wo aufhält, oder ob einzelne Nutzer:innen schon am Vortag auf der Walmart-Website waren. Werbung treibende Marken können diese Daten fürs Targeting nutzen.
Beispiel Shopping-Assistent: Hier spielen generative und analytische KI zusammen. Die generative KI ist mit ihren Large Language Models in der Lage, natürliche Sprache gut zu verstehen und auch wieder auszugeben. Die analytische KI forscht in den Daten, wie zum Beispiel der individuellen Verkaufshistorie, und gibt Shopping-Empfehlungen. Bei Walmart hat man ein solches System, den „Personal Shopper“, schon als Kundenbindungsinstrument im Einsatz. Walmart ist allerdings kein Partner von Salesforce, sondern von Microsoft.
Personal intelligent unterstützt
Auf der NRF in New York war kürzlich zu sehen, dass sehr viele Unternehmen die gleichen Ansätze auch intern benutzen. Walmart präsentierte schon auf der CES in Las Vegas die Mitarbeiter-App „Me@Walmart“, mit der Verkäufer:innen auf der Fläche nicht nur Aufgaben effizienter erledigen, sondern auch Mitarbeiteraktien einkaufen können. Auch bei Victoria´s Secret bspw. geht es zunächst darum, die Arbeit für die Mitarbeitenden in den Läden besser zu machen. Denkt man die Idee des persönlichen Einkaufsassistenten eine Stufe weiter, dann landet man fast unweigerlich bei zwei Unternehmen, die auf der Big Show der NRF für viel Aufmerksamkeit sorgten.
Das eine ist ARHT. Die Kanadier präsentierten unmittelbar am Eingang der Innovation Zone eine Art Telefonzelle, in der ein Mensch zu sehen war. Dabei handelte es sich um die holografische Darstellung eines Kamerasignals mit verblüffend realistischer Anzeige. Dank Kameras und Lautsprechern an der „Telefonzelle“ kann der Kunde oder die Kundin mit einer Beratungsperson sprechen, die weit entfernt im Call Center sitzt. Der Beratende sieht die Kund:innen, nimmt deren Umgebung war und kann ähnlich interagieren wie Personal vor Ort.
Bei „Sam“ bleibt man länger
Samsung wiederum sorgte vor einiger Zeit für Aufmerksamkeit, als mit dem Projekt „Neon“ ein Tool angekündigt wurde, mit dem sich jedes Unternehmen seinen eigenen Avatar bauen kann. Daraus wurde nichts. Nicht zuletzt, weil der KI-Boom die Qualitätsstandards für Dialogsysteme nach oben katapultierte. Nun gibt es bei Samsung einen Neustart. „Sam“ ist ein virtueller Einkaufsassistent, der wie der Personal Shopper die Fähigkeiten von generativer und Künstlicher Intelligenz kombiniert. In San Diego arbeitet „Sam“ beispielsweise als Weinberater bei der Supermarktkette Chevron. Das Samsung-Team sucht in Europa nach Partnern, die die Idee testen wollen. Das Unternehmen aus Korea hat starke Argumente: Seit Corona sind es die Menschen gewohnt, mit Bildschirmen zu sprechen.
„Tatsächlich haben wir beobachtet, dass die Menschen Sam lieber ins Gesicht schauen, und die Buttons, die wir am unteren Bildschirmrand einblenden, gar nicht wahrnehmen“, berichtet ein Samsung-Sprecher. In den Tests bei Chevron habe sich die Verweildauer der Kund:innen fast verdoppelt, wenn sie mit Sam interagieren. Aus Sicht des Handels könnte es eine interessante Idee sein, Retail Media und Avatar-Systeme zu kombinieren.
Schaut man sich die spektakulären, halb transparenten „Bildschirme“ von Standard Vision aus Kalifornien oder die Hologramm-Installationen von Samsung an, weckt das Begehrlichkeiten. Aber solche 3-D-Installationen kosten Fläche und Geld. Insofern könnte man darüber nachdenken, einen Service-Assistenten auf solch einem spektakulären System anzubieten und in der Zeit, in der dieser nicht benutzt wird, die 3-D-Displays mit spektakulärer, bezahlter Werbung zu bespielen.