Chat GPT, Midjourney, DALL-E und die unzähligen anderen: Seit rund einem halben Jahr medial gehypt, haben generative KI-Modelle schnell große Bekanntheit erlangt. Künstliche Intelligenz kann Texte und Bilder erzeugen, Stimmen klonen, Songs schreiben und Hits produzieren, Dialoge in Videosequenzen umwandeln oder von lebensecht wirkenden AI-Avataren einsprechen lassen.

Auch wenn viele der Anwendungen noch in der Betaphase stecken und ihre Optionen und Verknüpfungen erst noch richtig getestet werden müssen, ist klar: Das Potenzial von generativer Künstlicher Intelligenz für die Kreativbranche ist enorm und lässt damit auch Storedesign, Visual Merchandising, Social-Media- und Instore-Kampagnen nicht unberührt. „Die KI-Tools der neuesten Generation wie Midjourney und Chat GPT liefern spannenden Input für Kreativprozesse, denn sie können Daten nicht nur auswerten, sondern tatsächlich neue Ergebnisse entwickeln“, so Thorsten Kadel, Senior Strategic Director der Dan Pearlman Group.

Der Mehrwert generativer KI-Tools wird aktuell vor allem dort gesehen, wo nach Inspiration gesucht wird.

Der Mehrwert generativer KI-Tools wird aktuell vor allem dort gesehen, wo nach Inspiration gesucht wird.
Foto: Designplus

Kreativer Output

Der Mehrwert generativer KI-Tools wird aktuell vor allem dort gesehen, wo nach Inspiration gesucht wird. Kadel: „KI ist eine Möglichkeit, die Grenzen der Kreativität weiter auszudehnen.“ Tools wie Midjourney können in kurzer Zeit eine Fülle frei entwickelter, plakativer Bilder zu einem definierten Thema auswerfen – weit darüber hinaus, was von Mitarbeitenden in einem verantwortbaren Zeitrahmen zu leisten wäre.

„Dabei ist die KI in der Lage, Ansätze zu entwickeln, die überraschend anders und unerwartet sind. Sie bietet uns viele konzeptionelle Sprungbretter zur Vertiefung und Bewertung, um ein Konzept zu generieren, das technisch ausgereift, umsetzbar und von Expertenhand auf eine Marke abgestimmt ist“, so Christoph Stelzer, Managing Director bei Dfrost und Präsident des Verbandes für visuelles Marketing/Merchandising VMM.

Auch in der Kommunikation mit Händlern, zum Beispiel wenn gemeinsam eine neue Kampagne geplant wird, sieht Stelzer Vorzüge durch Text- und Bild-KI: „Bei der Umschreibung und Veranschaulichung eines Konzepts mit wegweisenden Motiven und Metaphern, die bei der Herleitung verwendet werden, leisten die Werkzeuge schon heute gute Dienste.“

Hocheffizient

Die KI ist schnell. Thomas Kadel experimentiert seit etwa einem Jahr mit den KI-Tools und kommt zu dem Schluss: „KI-generierte Texte und Bilder können Arbeitsprozesse massiv beschleunigen.“ Jan Maier, Creative AI Strategist bei Liganova, blickt auch ins eigene Unternehmen: „KI trägt zur Mitarbeiterzufriedenheit bei. Durch die potenzielle Zeiteinsparung können sich Mitarbeitende priorisierten Aufgaben widmen.“ Oder auch die KI als Ansporn nehmen, meint Kadel: „Mit der KI fordern wir uns immer auch ein Stück weit selbst heraus: Wir wollen einfach besser sein. Uns geht es um noch nachhaltigere Designs und noch überzeugendere Texte.“

Tool oder Team

Wird die Künstliche Intelligenz damit zur unverzichtbaren Assistentin der kreativen Köpfe in den Designstudios? Weit davon entfernt, eine KI-Anwendung zu vermenschlichen oder gar als Team-Mitglied anzusehen, ist Christoph Stelzer. Er sagt: „Ja, KI-Tools sind ein ständig wachsender fester Bestandteil des Werkzeugkastens, mit dem wir arbeiten.“ Aber eben nicht mehr.

Alternativen einer Instore-Inszenierung, entwickelt unter Zuhilfenahme bildgenerativer KI.

Alternativen einer Instore-Inszenierung, entwickelt unter Zuhilfenahme bildgenerativer KI.
Foto: Dfrost

Auch Jan Maier meint: „KI kann keinesfalls als Mitarbeiterin oder Assistentin bezeichnet werden. Viele der menschlichen Fähigkeiten von Kreativen kann die KI nicht ersetzen, sondern nur in ihrer Rolle als Software ergänzen.“ Aus diesem Grund sehen die Befragten auch kein Problem darin, dass die neuen Technologien Handelsunternehmen dazu verleiten könnten, sich mittels KI ihre kreativen Konzepte in Eigenregie zu bauen. „Wer glaubt, dass KI einen bestehenden, anspruchsvollen Kreativprozess ersetzen oder deutlich vereinfachen wird, der irrt“, so Stelzer.

Schon der logistische und strukturelle Aufwand, um die Tools zu evaluieren und zu implementieren, ist sehr hoch. Ganz zu schweigen vom Handling. Die effiziente Bedienung und Anwendung von Künstlicher Intelligenz muss gelernt sein. Die Qualität des Outputs steht und fällt mit dem Input. „Voraussetzung für gute Ergebnisse ist, dass die KI professionell mit den richtigen Prompts gebrieft wird“, so Melzian.

Und: „Textgeneratoren wie Chat GPT klingen zwar schlau und plausibel, haben aber nicht die gestalterischen Qualitäten von geschulten Kreativen. Sie ermitteln zwar die passendste Antwort aus einem Datensatz, können aber nicht ‚um die Ecke denken‘ – was ausschlaggebend für Kreativität ist“, so Maier.

Zukunftsvision

„Was zurzeit tagtäglich an neuen KI-Programmen auf den Markt kommt, ist durchaus beängstigend. Die rasante Entwicklung macht es selbst für Software-Entwickler unmöglich, den Überblick zu behalten, geschweige denn die Kontrolle“, erklärt Melzian. „Wie bei allen KI-basierten Anwendungen ist meine größte Sorge heute, dass die Qualität der Quellen und ihre Verbindlichkeit nicht klar nachvollziehbar ist“, meint Stelzer.

„Woher bezieht ein Tool das Know-how, wie mit Ware auf einer Retail-Fläche umgegangen werden soll? Derzeit orientiert sich das System an vorhandenen Beispielen und sammelt sein Wissen über neue, noch nicht gesehene Kombinationen. Es bleibt jedoch ein gewisser Zweifel, ob daraus wirklich ein Konzept ,out of the box‘ entstehen kann.“

„Unfassbar gut aussehen“

Hannes Melzian, Head of Digital and Experience Design bei der auf Retail spezialisierten Agentur Designplus, beschäftigt sich intensiv mit den Möglichkeiten generativer KI-Modelle.

Allgemein gefragt: Was bewirkt Künstliche Intelligenz im Retail?

Wie einschneidend KI die Prozesse im Retail bereits verändert hat, zeigen die automatisierten Analysen von Verkaufsflächen, datenbasierte Interaktionen mit den Kund:innen, die Verzahnung von Schnittstellen und Touchpoints, die modernen Kassensysteme usw. Die anwendungsbasierte digitale Experience im Einzelhandel ist mithilfe der KI längst neu geformt worden. Nun verändern die neuen generativen Bild- und Text-KI-Modelle auch die Prozesse der erlebnisorientierten und emotionalen Experience.

… also den Wow-Effekt im Laden, für den Storedesigner, Ladenbauer und Design-Agenturen zuständig sind. In welche Richtung weisen die Veränderungen?

Alles wird zunehmend unfassbar gut aussehen. Dank generativer KI dürfen wir hochqualitative Bildwelten erwarten, wie wir sie bisher noch nicht kannten. Überall dort, wo es um visuelle Brillanz geht, wird sich ein deutlich erhöhtes Level etablieren, also bei Schaufenster- und Instore- Kampagnen, Social-Media-Auftritten und Storedesign. Außerdem schnellere kreative Prozesse, individuellere Ansätze, bessere Inhalte und alles in noch größerer Vielfalt.

Schneller und besser – wodurch?

Die KI liefert Inspirationen auf Knopfdruck. Mit der KI kann ich z. B. mein Konterfei in Sekunden als professionelle Karikatur oder als kunstvolles Ölgemälde darstellen. Beim Erstellen von Moodboards kann die bisher wirklich zeitaufwändige Suche nach passenden Fotos und Illustrationen mithilfe der KI deutlich beschleunigt und optimiert werden.

Wie profitiert der Retail davon?

In Zukunft werden wir einem Retail- Kunden viel früher Entwurfsalternativen vorlegen können. Entscheidungen darüber, wie z. B. ein Fenster aussehen soll, lassen sich zügiger herbeiführen, wir haben schneller einen Fahrplan für die Umsetzung. Im Einzelhandel schrumpfen die Budgets, während die Anforderungen steigen – da passt die schnellere Taktung kreativer Prozesse gut.

Welchen Einfluss nimmt die KI auf die anwendungsbasierte Handelstechnologie?

Wenn wir Kampagnen entwickeln, denken wir alle kreativen, technischen und technologischen Assets einer Marke oder eines Einzelhändlers zusammen, um sie im Raum erfahrbar zu machen. Wir müssen also verstehen, was die anwendungsbezogene KI im Retail tut und sie mit den Möglichkeiten der neuen KI-Tools kombinieren. Viele KI-geprägte Szenarien werden da absehbar im physischen Einzelhandel zum Einsatz kommen, sind aktuell aber noch nicht so weit. Plakatives Beispiel etwa ist der Avatar, mit dem man im Store spricht, der sich dort auskennt und alles über das Sortiment weiß. Oder auch der persönlichen Chatbot, der einen vom Handy aus berät.